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Dem ist es hauptsächlich zuzuschreiben, daß das Volk des Weißenburger Comitats
einen so entschiedenen und folgerichtigen, wenig zu Extremen neigenden, selbstbewußten,
aber sanften Charakter hat, sowie daß seine Arbeit ausdauernd und erfolgreich ist. Mit
gesundem Menschenverstand wahrt es seine Interessen, doch ist ihm selbstsüchtiger Krämer-
geist fremd geblieben. Seine nationale Gesinnung ist stark, dabei jedoch schonend, er
begegnet dem Fremden mit Zuvorkommenheit. Seiner sanften Gemüthsart entspricht es,
daß die Religion und die religiös-sittlichen Gesichtspunkte consequent aufrechterhalten
werden; dies macht ihn aber weder fanatisch, noch vorurtheilsvoll, und Andersgläubige
finden hier stets Duldung, ja Achtung. Diese Eigenthümlichkeit und Charakterbildung
hat übrigens auch geschichtliche Ursachen. Unter der Türkeicherrschast und in der darauf-
folgenden Zeit hing das Volk größtentheils dem reformirten Bekenntniß an. Im vorigen
Jahrhundert wurde die Bekehrung zum römisch-katholischen Glauben in diesem Comitate,
wo die großen Domänen die Hauptförderer dieser geistlichen Rückeroberung waren, mit
großem Eifer betrieben; auch war ihr Erfolg ein wahrhaft durchgreifender, allein trotzdem
blieb, was mehr ist als bloße Duldung gegenüber Andersgläubigen, die Achtung vor
jeder religiösen Überzeugung im Gemüthe dieses Volkes unausrottbar festgewurzelt.
Gegenwärtig gibt es in dem Comitate etwa 148.000 Römisch-Katholische, 58.000
Evangelisch-Reformirte, 6000 Evangelische A. C., 8000 Juden und etwas über 1000
Griechisch-Nichtunirte.
Die Bevölkerung des Weißenburger Comitates ist im Allgemeinen von fröhlichem
Temperament; man singt und reimt gern; bei festlichen Zusammenkünften, auf Hochzeiten,
Namensfesten, Kirchtagen werden altgewohnte gleichlautende Gelegenheitscarmina
vorgetragen, wogegen keine Neigung herrscht, neue Lieder und Verse zu dichten, vielmehr
lieber die Lieder und Verse anderer Gegenden herübergenommen werden. Selbst der
guten Laune wird mit einer gewissen systematischen Consequenz Ausdruck verliehen. Neben
den gewohnten souutäglicheu Wirthshausvergnügungen kommen kaum irgendwelche
Stegreif-Unterhaltungen vor; dagegen erhält sich, auf engere Bekanntenkreise beschränkt,
die Feier der Namenstage und des Schweineschlachtens. Herzhafter und allgemeiner
wird die Lustbarkeit bei Hochzeiten, am zweiten Tage der Hauptkirchenfeste nnd bei
Kirchweihfesten.
In älterer Zeit wurden besonders die Hochzeiten mit viel fröhlichem Getöse
gefeiert, so daß sogar die Obrigkeit sich bewogen fühlte, durch Verbote die Hochzeitsgelage
einzuschränken. Die Synoden der reformirten Kirche erließen zahlreiche und sehr ins
Einzelne gehende Verfügungen, die auf Eindämmung der hochzeitlichen Lustbarkeiten
abzielten. Heute bedarf es dergleichen nicht mehr, aber auch jetzt noch feiert man die
Hochzeiten, ohne Unterschied der Eonfesfion, nicht nur im ohnehin breiten Kreise der
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (4), Volume 16
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (4)
- Volume
- 16
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1896
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.18 x 21.71 cm
- Pages
- 616
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch