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Sonntag genähten nicht verwesen könne. Als die Frau am Grabe erscheint, öffnet sich
dasselbe, sie stürzt hinein, fällt ihm um den Hals und bleibt bei ihm, die Kinder des
Himmels Obhut anvertrauend. Die in weiter Ferne an einen lieblosen Mann ver-
heiratete Tochter fliegt in Gestalt eines „grauen Vogels" nach Hause, setzt sich im Garten
auf die weiße Lilie uud klagt der Mutter ihr Leid.
Solche mythische Stoffe sind indeß nicht sehr zahlreich. Einen viel ausgiebigeren
Stoff liefern den Volksballaden die tragischen Ereignisse des alltäglichen Lebens: der
Verwandtenmord, der Mord aus Eifersucht, der Selbstmord aus verschmähter Liebe, aus
ungestillter Sehnsucht uach dem Geliebten oder ans unheilbarem Schmerz über dessen
Verlust .'c. ?c. Auch das freilich schon längst nur sagenhafte Nänberleben nach seinen Licht-
uud Schattenseiten, mit seiueu Abeuteueru und Gefahreil hat Stoff zu mancher hübschen
Volksballade geliefert. In diesen Liedern erscheinen die Räuber uicht als Verbrecher,
sondern als „kühne Bursche", welche deu Reichen das Überflüssige abnehmen, um es deu
Armen zu schenken. Als solche haben in Mähren eine gewisse Berühmtheit erlangt die
historischen Räuber Ondräö, Juras und Janosik, deren kühne Streiche sowohl in Liedern,
als auch iu zahlreichen Sagen und Anekdoten fortleben. Endlich werden in unseren
Balladen auch manche hervorstechende Ereignisse ans den Türken- und Franzosenkriegen
befnngen.
Alle diese, mitnnter recht spröden Stoffe versteht die naive Volksmuse mit
künstlerischer Sicherheit zn echten Balladen zu verarbeiten. Die resnltirende Stimmnng
ist in den meisten mährischen Balladen echt tragisch, doch gibt es unter ihnen auch eine
erkleckliche Anzahl recht hübscher Lieder mit heiterem Ansgang. So das Lied von jener
wackeren Banerstochter, welche dem königlichen Aufrufe folgend statt ihres alten Vaters
ins Feld zieht, eine Schaar Türken niedermetzelt und die übrigen in die Flucht schlägt. Der
„Herr König" staunt ob der unerhörten Tapferkeit des jungen Husaren und will ihn mit
der Hand seiner eigenen Tochter belohnen. Als sich dann der vermeiutliche Husar als die
die Tochter eines armen Vaters" entpuppt, führt er sie seinen: einzigen Sohne
als Gemalin heim. „Der Krieg wurde sofort beendet nnd die Hochzeit gefeiert."
Von den eigentlichen Liedern sind ein gntes Drittheil Liebeslieder. Aus der
Sehnsucht nach dem geliebten Wesen, ans der Überwindung mannigfaltiger Hindernisse,
die sich der gegenseitigen Liebe in den Weg stellen, entsprießen nnsere schönsten Lieder. Sie
malen mit echt poetischen Farben das Bild des geliebten Wesens; sie singen das Lob
treuer Liebe und ergehen sich in Klagen über das ungetreue Wesen. Aus unwiderstehlicher
Sehnsucht uach der daheim gelassenen Geliebten wird der Soldat zum Deserteur, trotzdem
er die traurigen Folgen voranssieht. Aus solcher Liebe schießt bei gegebener Veranlassung
anch die lodernde Flamme nngezähmter Eifersucht hervor, die mit gleicher Heftigkeit
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Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Mähren und Schlesien, Volume 17
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Mähren und Schlesien
- Volume
- 17
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1897
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.42 x 21.88 cm
- Pages
- 750
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch