Page - 47 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Galizien, Volume 19
Image of the Page - 47 -
Text of the Page - 47 -
47
Doch die Erinnerung an die traurige Vergangenheit darf uns den Genuß der
Gegenwart nicht stören. Mit frohem Mnth und empfänglichem Gemüth ziehen wir gegen
Osten, um die Eindrücke auf dieser iuterefsauten Reise zu sammeln. Noch einen Blick von
der Höhe des Franz Josephs-Berges auf die freundliche im saftigen Grün zahlreicher
Gärten schwimmende Landeshauptstadt Lemberg und dann in die Steppen!
Doch halt. . . Bevor wir den lieblichen über der Stadt thronenden Hügel verlassen,
wollen wir uns über die weitere Gegend orientiren, um unser Reiseziel mit benachbarten
Gebieten zu vergleichen. Und mau braucht wirklich kein Fachgeologe zu sei«, um auf deu
ersten Blick zu erkennen, daß wir von unserem Beobachtungspunkte aus die drei landschaft-
lichen Elemente, die Ostgalizien zusammensetzen, mit leichter Mühe überschauen können.
Im feruen Süden schließt die blaue Kette der Karpathen deu Horizout ab. Gegen
Westen erblicken wir eine sumpfig-sandige, hier und da mit dunkelgrünen Kieserwaldnngen
bedeckte Niederung, die bereits zum Weichselgebiet gehört und mit zahlreichen erratischen
Blöcken ans nordischen Graniten, Syeniten und Dioriteu überstreut ist. Sie zeigt in Flora
und Fauna einen deutlich nordcnropäischen Charakter und ist in der That nichts anders
als die Fortsetzung der norddeutschen und polnischen Tiefebene. Ganz anders gestaltet
sich das Bild, weuu wir unseren Blick in den fernen Osten schweifen lassen, ein Bild,
das sonst aus West- und Süd-Europa unbekannt ist. Hier beginnt die Hochebene von
Podolien, ans dem galizischeu Boden nur ein kleiner Theil jener riesigen Platte, welche
die merkwürdige Bodeneonfignration von Nordost-Europa bedingt. Die in dem Gebirge
häufigen Faltungen fehlen hier fast gänzlich, die krystallinischen Gesteine und die
paläozoischen Schichten liegen fast ganz horizontal und scheinbar ungestört. Diese
mächtige Platte, eine Urscholle, die der faltenden Kraft bei der Znfamnienziehung der
Erdrinde trotzte, ging jedoch bei diesem Processe nicht ohne theilweise Zertrümmerung
aus. Zahlreiche Brüche durchziehen die Platte, riesige Schollen derselben sind längs der
großen Verwerfnngslinieu in bedeutende Tiefen gestürzt und der Rand der Hochebene
selbst ist durch eine Bruchliuie uiarkirt, an der uralte Ablagerungen viele Hunderte, ja
vielleicht Tausende von Meter gesunken sind.
Allerdings verliert die podolische Platte in der Gegend von Lemberg, das ist an
ihrer westlichen Grenze, ihren Charakter fast gänzlich. Wer würde beim Anschauen der
lieblichen Hügel, welche die Stadt umsäumen und die auch fälschlich Berge genannt
werden, Theile des Plateau's vermuthen? Und doch sind es keine Berge, nur von der
Denudation verschonte Schollen und Lappen der zerrissenen Hochebene. Denken wir uns
das Poltew-Thal, in dem die Stadt liegt, wieder mit jenem Material, das im Laufe der
Jahrtausende durch das fließende Wasser fortgetragen wurde, ausgefüllt, so daß dadurch
miocäne Ablagerungen des Sand- und Franz Josephs-Berges, ferner der Hügel oberhalb
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Volume 19
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Galizien
- Volume
- 19
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1898
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.48 x 22.34 cm
- Pages
- 920
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch