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abgehauen wird, so daß nur ein unförmlicher, 2 bis 3 Meter hoher Block — dem zum
Himmel um Rache schreienden Marterpfahl vergleichbar — zurückbleibt. Diese Operation
scheint jedoch auf sie keinen tieferen Einfluß auszuüben, es sprossen frische Triebe und bald
lächelt ein hellgrünes Medusenhaupt von der Spitze des Stammes dem gefühllosen
Peiniger entgegen. Daß sie inwendig morsch und wurmstichig ist, daß manchmal buch-
stäblich nur die gesunde Rinde zurückbleibt, die allein im Stande ist, den Ernährungsproceß
des Baumes zu besorgen, ist der Weide auch vollkommen gleichgiltig, wie nicht minder der
Umstand, ob der Boden, auf dem sie wächst, gut oder schlecht, kalkig, sandig oder mergelig
ist. So sieht man mit Ausnahme der Steppen, auf denen überhaupt keine Bäume gedeihen,
hierzulande überall Weiden; eine galizische Dorflandschaft ist ohne die bizarre Form der
Weide, die eigentlich nur ein Zerrbild eines Baumes darstellt, undenkbar. Soll nun in
die Landschaft Leben hineinkommen, so muß man sich dazu noch kleine, äußerst genügsame,
mit stoischer Gleichgiltigkeit Hunger und Kälte, schwere Lasten und Mißhandlungen
ertragende Pferde denken, die kaum diesen stolzen Namen verdienen und vor Allem selbst-
verständlich auch die Könige der galizischen Schöpfung: den Bauer im weißen Hemd uud,
last bm nc»t least, den Juden mit Stirnlocken und langem Talar. Diese vier Wesen
gehören in Galizien entschieden zu einander.
In der Nähe von Ztoczöw verläßt die Bahn die Niederung und beginnt langsam
durch die tiefen Einschnitte in das Plateau einzudringen. Einige 16 Kilometer nördlich
von der Bahn liegt inmitten mioeäner Hügel das Dorf Podhorce mit dem berühmten
Schloß, das im Jahre 1637 von Stanislaus Konieepolski erbaut, später eine Zeit lang
vom König Johann III. Sobieski bewohnt wurde.
Durch tiefe Eisenbahneinschnitte im oberen Kreidemergel (hierzulande Opoka genannt)
gelangen wir nach Tarnopol , wo wir die Bahn verlassen, um unsere Reise zu Fuß und
zu Wagen fortzusetzen. Indem wir die 26.000 Einwohner zählende Stadt betreten, befinden
wir uns in der Metropole von Galizisch-Podolien. Die ziemlich reizlose (304 Meter über
dem Meeresspiegel gelegene) Gegend wird mit Recht als Galizisch-Sibirien bezeichnet, denn
die nach allen Windrichtungen offene, von keiner schützenden Hügelkette gedeckte Hochebene
trägt den Charakter eines typischen kontinentalen Klima's. Die strengen Wintermonate, in
denen das Quecksilber nicht selten unter —20 Grad Celsius sinkt, die heißen Sommermonate
mit den beobachteten Extremen von über -»-30 Grad Celsius, der rasche Temperatur-
Wechsel und die lästigen Winde gestalten das Klima zu einem recht unangenehmen. Die Stadt
selbst bietet außer dem alterthümlichen Schlosse, das gegenwärtig als Kaserne dient, und
der schönen Pfarrkirche, wenig Interessantes dar; recht eigenthümlich schaut die Stadt an
Markttagen aus, besonders zur St. Anna-Messe, in der hauptsächlich Pferde auf den Markt
kommen, während sonst Tarnopol den Hauptmarkt für den podolischen Getreidehandel bildet.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Volume 19
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Galizien
- Volume
- 19
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1898
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.48 x 22.34 cm
- Pages
- 920
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch