Page - 53 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Galizien, Volume 19
Image of the Page - 53 -
Text of the Page - 53 -
53
strategisch glücklich gewählt, sondern auch landschaftlich malerisch. Ans einer Bergzunge,
die nur auf einer Seite mit der Hochebene verbunden ist, von allen anderen aber durch das
tiefe halbmondförmige Thal des Gnieznabaches und die Schlucht des Peczenijabaches
halbinselartig abgeschnitten ist, gelegen, übt das Schloß auf den Beschauer einen eigen-
thümlichen Reiz aus. Von der Höhe der morschen, moosbedeckten Mauer schweift unser
Blick weit gegen Osten, ohne auf der baumloseu Hochebene einen Rnhepuukt zu finden.
Die goldenen Ähren, von leichtem Winde wellenförmig bewegt, bilden einen willkommenen
Gegensatz zu dem dunklen Walde, der sich im Westen in unserer unmittelbaren Nähe
erstreckt. Die freundliche Stadt zu unseren Füßen, die tiefen, rothen, devonischen Schluchten,
an deren Rande wir stehen, das Grün des Waldes und das Gold der Steppe, das Alles
vereinigt sich zu einem harmonischen, farbenprächtigen Bild, das seinesgleichen sncht.
Doch zurück zum Serethsluß. Unser Weg führt uns westwärts durch einen schönen
Wald. Wir passireu im Markt Strnföw den Serethfluß, werfen einen Blick auf das
tiefe Erosiousthal — mit ähnlich wie in Trembowla rothen devonischen Sandsteinwänden
— auf die schöne Kirche und das prächtige Schloß und eilen westwärts gegen die Ortschaft
Zazdrost. Wie mit einem Zauberschlage ist die Schlucht, der Wald, ja fast jeder Baum
verschwunden. Eine ausgedehnte Steppenlandschaft, die in weiter zitternder Ferne mit dem
Horizonte verschmilzt, ist vor unserem entzückten Auge ausgebreitet. Noch vor zwei oder
drei Jahrzehnten waren da die Pantalicha oder Orzetöwka, Zazdrosc, Stepy Strnsowskie
und wie alle diese Steppen heißen mögen, in ihrer urwüchsigen Pracht. Heute siud
es nnr bescheidene Überreste jener Urform der Plateau-Oberfläche. Mit jedem Jahre
dringt die Cultur tiefer und tiefer in das Herz der Steppen ein, und bald werden sie ganz
dem langweiligen, regelmäßig gefurchten Ackerboden weichen müssen.
Der wolkenlose blaue Himmel mit dem goldenen Feuerball, die weiche, leicht
bewegte, erfrischende Morgenluft, der wunderbare Anblick der weiten an das Meer
erinnernden Fläche erfüllt uns mit Wonne, die jeden Nerv vor Lebenslust erzittern läßt.
Hoch zu Roß fühlen wir uns dem Adler gleich, der gerade jetzt in den Lüften auf Beute
späheud mit seinen mächtigen Schwingen große Bogen beschreibt. Die Culturen werden
seltener, die podolische Prairie erscheint vor uns in ihrer ganzen Majestät. Ein prächtiger
weicher, blumendurchwirkter Teppich breitet sich zu unseren Füßen aus. Das üppige,
saftig grüne Gras, die gelben Dotterblumen, die Rosenblüten des Lychnis, die Lila-
glöckcheu der Campanulen und tausend andere Blnmeu und Blüten in allen Farben
des Regenbogens entzücken Auge und Herz. Doch was ist das? . . In weiter Ferne,
dort wo das Blau des Himmels mit dem Grün der Steppe zusammenschmilzt und die
Luft wie über der Feuerlohe erzittert, erblicken wir große Vögel, die starr und
bewegungslos, wie aus Stein gemeißelt, uns verdachtschöpfend mustern. Das sind die
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Volume 19
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Galizien
- Volume
- 19
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1898
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.48 x 22.34 cm
- Pages
- 920
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch