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Blüte stehende Heidekorn ausathmet. Das melancholische Gesumme der Bienen wird
uns zu einem sanften Schlummerlied, bei dem wir in den so angenehmen halb wachenden,
halb träumenden Zustand verfallen. Doch — ist es Traum oder Wirklichkeit? Unweit vom
Garten, gleich hinter dem Heidekorn, erscheinen auf der Steppe kleine braunrothe Gesellen,
die in possirlichen Stellungen und lebhaften Sprüngen ihr Spiel treiben. Es sind keine
Kobolde der eingebildeten Welt, sondern leibhaftige Bewohner der Steppe mit Fleisch und
Blut. Wir springen auf und die Thierchen sind verschwunden; da jedoch der Wissensdrang
den Sieg über die Lust zum äolce kar nienw davonträgt, nähern wir uns vorsichtig den
kleinen Bauen und bleiben versteckt auf der Lauer liegen. Nach einer Weile erscheint in
der Öffnung ein Köpfchen, dann das ganze Thierchen, das Männchen putzt sich und pfeift,
bis endlich die ganze Gesellschaft versammelt ist. Das niedliche braunrothe, viel zierlicher
als der Hamster gebaute Thierchen ist im Westen und Süden Europa's unbekannt,
es ist nämlich der Ziesel (Spermopliilus eitillus), ein Bewohner des Nordostens. Die
podolische Hochebene birgt auch eine Art europäischen Prairiehundes, nämlich den Bobak
(^rctom^s bodae), dessen lustiges assenähuliches Treiben der ansmerksame Reiseude hier
oft beobachten kann.
Mittlerweile ist es Abend geworden. Die Königin des Tages ist im fernen Nord-
westen in ihrer ganzen majestätischen Pracht, in Feuer und Gold gebadet, untergegangen;
ein violetter Schimmer breitet sich über die Landschaft aus. Unser Gastwirth mahnt uns
ernstlich davon ab, die Reise bei der Nacht fortzusetzen. Die Nacht ist keines Menschen
Freund, wir könnten uns leicht verirren und in ein bodenloses Moor gerathen, übrigens
treiben die bösen Geister Nachts ihr Unwesen in der Steppe. Wir bleiben. Auf weichem
Heu gebettet, bringen wir die Nacht im Freien zu. Der schnatternde Ton des Wachtelkönigs
und das Quaken der Frösche leitet das Abendconcert, das bald von tausend Stimmen auf-
genommen wird, ein. Im fernen Sumpf blinzeln die Irrlichter, die frische Nachtluft
erweitert unsere Brust, die köstlichen Düfte berauschen unsere Sinne, — o übe auf uns
deine ganze Macht aus, du süße, herrliche Steppennacht!
Am nächsten Tage setzen wir unsere Reise gegen Süden fort. Durch üppige Wiesen
uud bebaute Felder führt unser Weg an zahlreichen Holzkreuzen und heiligen Standbildern,
die die gottessürchtige Landesbevölkerung überall reichlich errichtet, vorüber. In weiter
Entfernung von den Flußthälern sind die Ortschaften selten. Aber auch hier sucht der Mensch
für seine Behausung breite Lößschluchten und überhaupt Eiusenkuugen im Terrain auf,
um Schutz vor den Steppenwinden zu finden.
Die Dörfer, die wir hier passiren, bezeugen schon durch ihr Aussehen die
Wohlhabenheit des Landmannes. Nette, reinliche Häuser, mit kleinen Blumeugärtchen, in
denen weder die Malve, noch die Pfingstrose, am wenigsten aber die beliebte Gartenraute
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Volume 19
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Galizien
- Volume
- 19
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1898
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.48 x 22.34 cm
- Pages
- 920
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch