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Die lebhafte Einbildungskraft des Volkes sieht in ihnen Nachbildungen verschiedener Thiere
und Gegenstände und belegt sie demnach mit charakteristischen Namen als: der Sattel, der
Schneckenfels, der Zuckerhut, der Einsame, die Falkin u. s. w. Stellenweise verengt sich
das Thal so sehr, daß man an dem Ende desselben angekommen zu sein und den Fluß
aus einem unterirdischen felsigen Schacht hervorstürzen zu sehen glaubt, da erscheint plötzlich
hinter einem Felsvorsprung eine Biegung des Thales, und ein neues schönes Bild stellt
sich unseren erstaunten Augen dar. Muthigere Touristen begnügen sich nicht mit der
Fußwanderung, sie genießen auch die Aufregung einer Stromthalfahrt. Auf mehreren, der
größeren Sicherheit halber zusammeugebuudeuen Kähnen schießen sie jauchzend an uns
vorüber; wir verfolgen sie mit bangem Gefühl, denn jeden Augenblick scheint die schwache
Flotille an irgend einem scharfkantigen Felsen zerschellen zu wollen, doch die sichere Hand
der Flößer vermag im letzten Augenblick eine rettende Wendung auszuführen.
Obwohl die rechte Seite des Flusses bereits zu Ungarn gehört, so ist dennoch der
Verkehr zwischen den beiden Ufern sehr rege, da ein und derselbe polnische Volksstamm die
Gegend zu beiden Seiten des Flusses bewohnt. Jeden Augenblick kommen uns schöne,
schlanke Dorfmädchen entgegen, die Milch, Erd- und Himbeeren zum Verkauf anbieten.
An der kühnen Kalknadel, „der Falkin" (764 Meter), deren Schluchten und
minder steile Gehänge im grünen Waldesschmuck prangen, gelangen wir in einer Thal-
erweiterung, wo der Pieninenbach in den Dnnajec mündet, auf eine anmuthige Wiese.
Wie ein Adlernest erhebt sich auf dem Felsen „Ligarki" die Ruine des Schlosses der
heiligen Kunigunde. Nach der Volkstradition wurde die Burg von den Engeln erbaut,
um der Heiligen sicheren Schutz vor den Feinden zu gewähren, und trotzte auch thatsächlich
lange Zeit hindurch sämmtlichen Stürmen, bis sie endlich im XV. Jahrhundert von den
Hnsiten zerstört wurde.
Wir kommen jetzt auf den Glanzpunkt der ganzen Partie. Über den zahlreichen
Zinken und Nadeln thronen die imposanten „Drei Kronen", die höchsten Gipfel der
Pieninen (982 Meter).
Wir pafsiren das auf der ungarischen Seite gelegene „Rothe Kloster", das im
Jahre 1319 als Karthäuserkloster gegründet wurde, und gelangen an dem ungarischen
Schloß Niedzica (Nedeezvär) vorüber wieder auf die galizifche Seite. Das Thal erweitert
sich, die -eigentlichen Pieninen sind zwar zu Ende, aber die Klippenkalke dauern noch weiter
fort. Gerade vor uns erblicken wir eine jurassische rothe Kalkklippe, deren Gipfel die Ruine
der uralten Burg Czorsztyn schmückt. Wir erklimmen die steile Klippe und verwundert
lassen wir unseren Blick in die Ferne schweifen. Ist es nicht ein eitler Sommernachtstraum,
der uns da paradiesische Bilder vorgaukelt? Wird unser Menschenauge nicht durch eiue
aus Licht und Luft bestehende Fata morgana getäuscht? Doch nein! Es ist kein Werk der
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Volume 19
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Galizien
- Volume
- 19
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1898
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.48 x 22.34 cm
- Pages
- 920
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch