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Die schönen, bald grünen, bald aber in weißen Schämn umgewandelten Fluten stürzen
donnernd in die Tiefe, so daß die zahlreichen Höhlen in der Nachbarschaft dumpf wieder-
hallen. Vor uns erhebt sich die himmelanstürmende Hauptkette der Tatra, in deren Mitte
die gewaltige Bystra (2250 Meter) thront, wir bewundern in andächtiger Betrachtnng
das großartige Hochgebirgspauorama und mit wahrem Bedauern werden wir die Thatsache
gewahr, daß das schöne Koscielisko-Thal und somit unsere Excnrsion zu Ende ist.
Doch ist der nächste Tag zu einem noch schöneren Ansflng, nach der Perle der
polnischen Tatra, nach dem wunderbaren Meerauge bestimmt. Wir wählen dazn weder
den bequemen Fahrweg noch den gewöhnlichen Touristenweg, sondern den zwar anstrengenden
und nicht ganz ungefährlichen Pfad über Zawrat, der aber dafür die Hochgenüsse der
alpinen Natur in ihrer ganzen Pracht darbietet. Daß zu einer solchen Partie ein
ausgezeichneter Führer gehört, ist selbstverständlich; und wir schätzen uns glücklich, daß
kein geringerer als der alte Sabaka sich entschlossen hat, uns dahin zu begleiten. Es ist
ein interessanter Mensch, dieser Sabata! Eine wahre Hünengestalt, stark und geschmeidig
trotz seiner 70 Jahre, mit ausdrucksvollen scharfen Gesichtszügen und lebhaften Adleraugen;
eine Art Patriarch und Dichter zugleich, vor Allem aber berühmt als Geschichtenerzähler.
Wnrde er doch durch Sieukiewiez, der seine Fabeln meisterhaft nacherzählte, unsterblich
gemacht!
Wir benützen anfänglich das Thal von Kuznice (Eisenhammer), und wenden nns am
Ende desselben gegen Osten. Durch anmuthigen Tannenwald steigen wir langsam ans den
Gipfel der Kopa Krölowy, wo uns ein großartiger Anblick des mittleren Theiles der
Hanptkette der Tatra einige Zeit fessekt. Es ist das der mittlere Balken in dem liegenden
Buchstaben mit dem wir die Gestalt des ganzen Gebirges verglichen haben. Da thront
nun die riesige, schneeige Swinnica (2293 Meter), daneben, wie eine schlanke gothische
Kirche, der schöne Koscielec (2157 Meter), dessen Rücken tief in das zu unseren Füßen
liegende Raupenthal hineinläuft und dasselbe somit in zwei Theile theilt, dann folgen die
zerrissenen Granaten, Zötta, Krzyzne und endlich der lange Rücken der Koszysta.
Beim Herabsteigen in das Thal bemerken wir deutliche Gletscherspuren; die Gehänge
sind mit «nächtigen Moränen bedeckt, deren riesige, vom centralen Kamm des Gebirges
hervorgebrachte Granitblöcke unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. In der Tiefe
des Thales angelangt, steigen wir den zwischen dem Gletscherschutt im Schatte» der
Zirbelkiefer uud des Krummholzes sich windenden Bach hinauf, noch eine große Moräne
wird erklommen, und der schöne „Schwarze Raupensee" liegt vor uns in seiner ganzen
Herrlichkeit! Ein sonderbares Hochgebirgsbild entzückt unsere Augen: der ernste nnd kalte See,
in dessen dunkelgrünen Fluten sich die zackigen Grate der Nachbarschaft spiegeln, im
Hintergrunde die majestätische Gestalt des im gothischen Stil geformten Koscielec mit
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Volume 19
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Galizien
- Volume
- 19
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1898
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.48 x 22.34 cm
- Pages
- 920
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch