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Unglück sind die gewöhnlichsten Motive solcher Metamorphosen, welche in der panthe-
istischen Anschauung ihren Grund haben.
In den rnthenischen Volkssagen werden nicht nur sichtbare Naturerscheinungen und
überirdische Wesen, sondern auch abstraete Begriffe personifieirt. So glaubt das Volk an
das gute (äöbia ckola) und an das böse Schicksal (necküla, bickä oder zl^ni). Jeder Mensch
kommt mit seinem Schicksal zur Welt, dessen er bis zum Tode nicht los werden kann,
vola (das gute Schicksal) ist eine mythische Personifieation wie die römische Fortuna.
Ebenso personifieirt das Volk das Recht (prävvcka) und das Unrecht (krz^cka), ferner
die unter dem rnthenischen Volke am meisten geheiligten Tage: Sonntag (neckilo) und
Freitag (svviata Mwyeia). Diese Sagen haben in der Regel zur ethischen Unterlage, daß
die Wahrheit und das Recht immer den Sieg davontragen, daß das Recht die Grundlage
der Weltordnung bildet und daß die Wahrheit weder im Feuer, noch im Wasser untergehen,
sondern immer ans Tageslicht gelangen wird.
Hierher gehören auch Erzählungen von Gott, Christus, von den Aposteln, von der
Mutter Gottes u. dgl., welche zwar der heiligen Schrift entlehnt, jedoch der Welt-
anschauung des rutheuischen Volkes angepaßt sind. Daran knüpfen sich Legenden, in
welchen christliche Anschauungen an Stelle der mythischen getreten sind. Besonders interessant
und sehr verbreitet sind die Legenden von dem jenseitigen Leben, welche von alten Weibern,
die dem Scheintode verfallen und im Jenseits gewesen zu sein glauben, erzählt werden. Sie
wissen von Strafen und Vergeltungen zu erzählen, welche den aus der Welt geschiedenen
Angehörigen und Bekannten zu Theil geworden seien und die den Begriffen des Volkes
entsprechen. Brüder, welche in Zwist mit einander lebten, werden in der Volksphantasie
als Hunde, die sich fortwährend beißen, in der Unterwelt vorgestellt. Barmherzige, welche
Almosen gespendet haben, sitzen an reichbesetztem, Geizige dagegen an leerem Tisch. In
einem brennenden Strauch steht ein Mensch, welcher darüber klagt, daß er friert, weil er im
Winter keine Herberge geben wollte einem Armen, der in Folge dessen erfroren ist. Einem
Andern rinnt ein Bach aus der Kehle und trotzdem fleht er um Wasser, um seinen Durst zu
löschen, weil er an einem heißen Tage einem Wanderer auf dem Felde Trinkwasser, das er bei
sich hatte, nicht geben wollte. Geizige stehen in siedendem Pech, in Glnth bis an den Gürtel
steht ein Jüngling, der die durchs Los für ihn bestimmte Jungfrau nicht heiraten und dieselbe
erschlagen wollte, um ihrer los zu werden. Von den Teufeln mit Spießen angetrieben, trägt
Schlangen mit seinen Händen von einer Grube zur andern ein Hajdamak, welcher viele
Menschen, auch Vater und Mutter erschlagen hat. Oben im Himmel thront Christus uud die
Mutter Gottes, welche goldene Strümpfe strickt und brave Kinder halten ihr den Knäuel.
Den Übergang von den mythischen Sagen zu den historischen Uberlieferungen bilden
Märchen, welche zwar an eine historische Persönlichkeit oder Ortschaft geknüpft, jedoch eine
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Volume 19
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Galizien
- Volume
- 19
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1898
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.48 x 22.34 cm
- Pages
- 920
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch