Page - 488 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Galizien, Volume 19
Image of the Page - 488 -
Text of the Page - 488 -
488
kleine Eßbestecke, Münzen aus Silber und Gold und wird mit Süßigkeiten und Meth
bewirthet. Auch die Lehrer werden beschenkt.
Eine zweite ernstere Feier im Leben des Knaben ist die Consirmation — das
Bar-Mizwa — beim Eintritt in das 14. Jahr, von wo ab er allen religiösen Pflichten
eines Erwachsenen unterliegt und bei allen religiösen Handlungen, zu denen die Anzahl
von zehn Theilnehmern erforderlich ist, mitzählt, beten, fasten und an jedem Morgen die
Tefilin anlegen muß. Tefilin oder Phylakterien sind Gebetriemen, an denen kleine, steife,
lederne Würfel befestigt sind, welche auf Pergamentstreifen das mosaische Glaubens-
bekenntnis enthalten und während des Morgengebetes — Samstag und Feiertag
ausgenommen — auf der Stirne und am linken Arme befestigt werden. Der zum Jüngling
gewordene Knabe wird zur Thora aufgerufen, vom Rabbiner eindringlich ermahnt, den
Lehren Moses und den talmudischen Vorschriften treulich nachzukommen und von den
zu eiuem Schmaus im Hause der Eltern geladenen Gästen beschenkt. Nun nahet die Zeit,
wo für den reifenden Jüngling eine Lebensgefährtin zu suchen ist. Glücklicherweise gibt
es bei den Juden eine Institution, die auch anderweitig viele Nachahmung fand, den
Schadchen. Dieser Heiratsvermittler führt genaue Verzeichnisse aller heiratsfähigen
jungen Leute im Orte und außerhalb desselben, das Alter, die Familie, Bildung,
Vermögensverhältnisse und Ansprüche derselben enthaltend. Er ist ein gern gesehener
Gast, wo erwachsene Mädchen blühen und reich an Vorschlägen, da er eine große
Auswahl verschiedener Qualitäten in Vorrath hat. Er weiß den Eltern bestechende und
einschmeichelnde Vorschläge zu machen, Schwierigkeiten zu überwinden, Bedenken zu
besiegen, Verhandlungen mit diplomatischer Geschicklichkeit zu spinnen und so zwei
Familien, die einander nicht kannten, in verwandtschaftliche Beziehungen zu bringen,
wofür er ein dreiprocentiges Honorar von der beiderseitigen Mitgift bekommt. Zu einer
solchen Verbindung wird in bigotten Häusern der Geschmack der jungen Leute fast
niemals befragt, die oft erst nach der Abmachung von ihrer Verlobung erfahren, und
doch sind die meisten Ehen glücklich, weil sie in sehr jugendlichem Alter geschlossen werden,
wo die Charaktere sich noch nicht krystallisirt haben und sich daher leicht assimiliren können.
Für unglückliche Paare gibt es übrigens ein bequemes Ausfallsthor: die Scheidung.
Das Hochzeitsfest wird gewöhnlich im Elternhause der Braut, die Trauung vor der
Thüre der Synagoge unter freiem Himmel begangen. Lebt das Brautpaar nicht im selben
Orte, so findet die Hochzeit in einem auf halbem Wege gelegenen Wirthshause statt, wohin
von beiden Seiten lange Leiterwagen die Gäste, Musik, Getränke nnd Mnndvorräthe
bringen. Galizische Gasthäuser an der Landstraße sind nicht gerade Schweizer- oder
Rhein-Hotels, genügen aber den bescheidenen Ansprüchen jener Menschen, die so wenig im
Sonnenschein des Lebens zu wandeln gewöhnt sind, daß sie jeden lichten Moment im
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Volume 19
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Galizien
- Volume
- 19
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1898
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.48 x 22.34 cm
- Pages
- 920
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch