Page - 494 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Galizien, Volume 19
Image of the Page - 494 -
Text of the Page - 494 -
494
Männer nur noch ihren Gebetmantel — auch keinen Sarg, denn nach dem Bibelspruche:
„Aus Staub bist du, zum Staube kehrst du zurück" soll der Körper unmittelbar iu
die Erde gebettet werden. Die Begleitung einer Leiche ist eine gottgefällige That,
besonders wenn sie einem gelehrten Manne gilt. Dem prunklosen Zuge gehen Leute mit
klappernden Büchsen voran, welche mit dem hebräischen Rufe: „Almosen wendet das
Verderben ab!" zu Gaben für fromme Brüderschaften und Wohlthätigkeitsvereine
anffordern. Den Friedhof bezeichnen die Juden mit „Heiliger Ort", „Halle des Lebens",
„Haus der Ewigkeit"; dort tragen die nächsten männlichen Verwandten die Leiche zur
Gruft, während Psalmen hergesagt werden. Die Aroniden, die Abkömmlinge des
priesterlichen Stammes, dürfen den Gottesacker nicht betreten, weil sie dadurch verunreinigt
würden; sie bleiben daher außerhalb der Umfassungsmauer zurück. Gemeinsame Gräber
gibt es bei den Israeliten nicht; auch der ärmste bekommt eine eigene Ruhestätte, und
kein Grab bleibt ohne Gedenkstein, wenn auch das Geld hiezu zusammengebettelt werdeu
muß. In der Gruft erhält die Leiche als Kopfpolster ein Säckchen mit Erde aus Jerusalem,
damit sie auf heimatlicher Erde ruhe, und Stäbchen in die Hände, damit sie, wenn der
Weckruf ertönt, sich unterirdisch mit diesen Schaufeln nach dem heiligen Lande durch-
arbeite und dort auferstehe. Gegen Beschädigung durch Erdscholle» werden die Augen
mit kleinen Scherben bedeckt. Die nächsten Verwandten schaufeln die ersten Schollen in
die Gruft; die Söhne verrichten ein Todtengebet. Im Sterbezimmer brennt durch siebe»
Tage und Nächte am Fenster eiu Lämpcheu, daneben steht ein Glas Wasser und hängt
ein Leinwandlappen. Das Licht leuchtet der entschwundenen Seele; das Wasser nnd die
Leinwand dienen ihr zur Reinigung, wenn sie in den ersten Tagen nach ihrer Scheidung
gewohnheitsmäßig die alte Stätte besucht. Den nächsten Angehörigen wird ein Schnitt
in die Kleider gemacht, eine Zeremonie, welche das bei den alten Hebräern üblich gewesene
Zerreißen der Kleider versinnbildlichen soll; dann setzen sie sich ohne Fußbekleidung auf die
Diele, essen ein mit Asche bestreutes Ei, lesen das Buch Hiob und empfangen vom dritten
Tage ab Eondolenzbesuche, die jedoch, ohne Gruß beim Kommen und Gehen, schweigend
dasitzen. Der erste Trauergrad dauert (bei Kindern) eine Woche, der zweite dreißig Tage,
der dritte ein Jahr. Während elf Monaten sprechen die Söhne oder in Ermanglung
derselben gedungene Leute dreimal täglich das Kadischgebet für die Seele der Verstorbeueu;
die Söhne dürfen an keinem Feste theilnehmen, tragen jedoch keine Trauer. Die Frauen
tragen keine» Schmuck, ebenfalls keine Trauergewänder, sondern blos eine schwarze lange
Schürze. Das erste Kind, das in der Familie geboren wird, erhält den Namen des
Verstorbenen, dem das Fortleben seines Namens im Jenseits Frende bereiten soll.
Mit einem zweitägigen feierlichen Gottesdienste tritt der Jude in sein, in die Monate
September oder October fallendes Neujahr eiu. Schon einen Monat zuvor beginnen die
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Volume 19
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Galizien
- Volume
- 19
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1898
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.48 x 22.34 cm
- Pages
- 920
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch