Page - 548 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Galizien, Volume 19
Image of the Page - 548 -
Text of the Page - 548 -
548
Erst der Tatareneinfall unterbrach dieses Kunstleben. Dazn kam noch der Eifer strebsamer
Geistlicher, welche Sängerschulen gründeten und bewanderten Diaken die Pflege des
Gesanges überließen. Dies alles förderte den Sinn für die Musik und die nationale
Veranlagung des Volkes für mehrstimmigen Gesang und eigenartigen Rhythmus. Das
erste ist der natürliche Ausfluß eines ausgezeichneten musikalischen Gehörs, welches,
im Allgemeinen den Südslaven eigen, nicht nur eine reine Intonation zur Folge hat,
sondern auch das Bestreben erregt, in der natürlichen Mittellage zu singen; das zweite
ergab sich aus der Natur der Sprache. Tact, Metrum und demnach ein symmetrischer
Rhythmus sind der kleinrussischen Musik vollkommen fremd,sie kennt nur den unsymmetrischen
Rhythmus, nämlich jenen, wo ein einziger Accent ungefähr in der Mitte der musikalischen
Phrase auf eine Silbe des hervorzuhebenden Wortes fällt. Dieser Accent kommt oft schon
in der zweiten Silbe vor, er füllt jedoch niemals auf die erste.
Der griechische Gesang wurde verhältnißmäßig rasch verdrängt, um dem nationalen
Kirchenliede Platz zu machen. Schon Jaroslans I. ließ griechische Kirchenbücher ins
Russische übersetzen, der deklamatorische schleppende Gesang wurde nach und nach durch
einen männlicheren, mehr gedrängten und lebhaften verdrängt. Die Sängerschulen hielten
sich nicht an eine streng angewiesene Richtung; bis zum XIV. Jahrhundert wurden in
den Kirchenbüchern die Noten für eine einzige Stimme aufgezeichnet, die übrigen Stimmen
mußten nach dem Gehör erlernt werden. Aber die Noten wurden in die Kirchenbücher
von den dazu berufenen Sängern und Cvmponisten eingetragen und diese Componisten
schufen neue Melodien und rühmten sich des bis ins XVII. Jahrhundert nachweisbaren
Rechtes, ihre Namen in die Bücher einzutragen. Die Namen der Componisten sind uns
zufolge des zu jener Zeit allgemeinen Brauches erhalten, dieselben in den Anfangs-
buchstaben der Strophenverse akrostichisch anzudeuten. Die zahlreichen Schulen und das
allgemeine Interesse für den Gesang förderten die Ausbildung guter Sänger und begabter
Componisten. Der Umstand, daß Componisten sowohl Kirchenlieder, als auch weltliche
Lieder schufen, führte dem Kirchengesang unzählige neue Motive zu, wie dies ein Verbot
beweist, welches schon im XI. Jahrhunderte (1074) der Metropolit Johann II. gegen
die Einführung weltlicher Lieder in die Kirche erließ, nachdem er zuvor viele derselben
nach strenger Prüfung in die Kirche aufgenommen hatte.
Schon in verhältnißmäßig früher Zeit finden wir Spuren des polyphonischen
Gesanges. Die russischen und die südslavischen Gelehrten sind bis jetzt über die Zeit der
Entstehung der Polyphonie nicht einig. Porphyrij Bazanski, behauptet, dass der polyphone
Gesang schon im XI. Jahrhundert bekannt gewesen sei, und unterstützt diese Behauptung
durch die andere, daß in dieser Epoche weltliche Lieder schon mehrstimmig gesungen
worden seien. Es ist kaum möglich, diese Frage zu entscheiden, da die aufgezeichneten
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Volume 19
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Galizien
- Volume
- 19
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1898
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.48 x 22.34 cm
- Pages
- 920
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch