Page - 553 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Galizien, Volume 19
Image of the Page - 553 -
Text of the Page - 553 -
553
Indeß entstand trotz dieser Vernachlässigung des Volksgesanges in der Kirche eine
Reihe frommer Lieder, welche vom Volke noch heute gesungen werden. Das älteste Lied
dieser Art ist die uralte v?iewic:a° (die Mutter Gottes, die heilige
Jungfrau), welche ähnlich wie das »L^rie eleison« der Ruthenen vor der Schlacht
angestimmt wurde. Der heilige Adalbert soll dieses Lied geschaffen haben; es war schon
im XI. Jahrhundert bekannt. Doch ist die Authenticität der Melodie sehr zweifelhaft.
Das XV., XVI. und zum Theil auch das XVII. Jahrhundert ist die Blütezeit des Kirchen-
gesanges. In diesem Zeitraume entstanden zahlreiche fromme Lieder, welche sich durch
Erhabenheit und edle Melodie auszeichnen, darunter besonders die Weihnachts- und die
Trauerlieder. Das erhabenste Lied ist „Lwitzt^ Loxe« (o heiliger Gott), das in Demuth
zerfließende ,Xtc> sitz opisktz".
Die Mehrzahl dieser Lieder dürften nicht vor dem XVI. Jahrhundert entstanden
sein, die meisten zur Zeit, als die katholische Kirche alle Kräfte zur Bekämpfung der
Reformation aufbot. Einige Gelehrte sind der Ansicht, daß während der Husiteukriege
viele weltliche und Kirchenlieder aus Böhmen besonders nach Kleinpolen gebracht und
hier von den zahlreichen Anhängern des Hnsitismus gesungen und verbreitet worden seien.
Diese Ansicht ist nur bezüglich der weltlichen Lieder richtig. Denn wenn auch das Verbot des
Cardinals Zbigniew Oleßnicki gegenüber den weltlichen Hnsitenliedern nicht unbedingten
Gehorsam zur Folge hatte, so war dies doch bezüglich der Kirchenlieder gewiß der Fall.
Das Charakteristische der polnischen Volksmusik besteht, wie schon bemerkt, in dem
entschiedenen, lebhaften Rhythmus derselben. Unzählige polnische Lieder können Tanz und
Lied zugleich sein, und diese zahlreichste Gattung umfaßt echte polnische Liedertypen, von
welchen mit voller Sicherheit behauptet werden kann, daß sie ohne jeden fremden Einfluß
ausgebildet wurden. Es gehören dazu der Krakowiak, die Polonaise und die Mazur.
Der Krakowiak ist ein Typus für sich, Krakau, nebst einem Theile seiner Hochebene
die Wiege der kleinpolnischen Volksmusik. Eine lustige, zierliche Melodie, die manchmal den
Umfang von acht Tönen erreicht, bewegt sich in kurzen Phasen im Zweiviertel-Tact.
Accente auf schlechten Tacttheilen, die mit weicheren wechseln, verleihen der Melodie
Lebhaftigkeit neben Innigkeit. Das Tempo ist immer lebhaft, nur wird es manchmal ein
wenig verlangsamt, wenn der Sinn der Worte es erfordert. Das Volk singt und tanzt den
Krakowiak; zuweilen tritt ein Tänzer nach dem andern mit seiner Tänzerin vor die
Musikanten, singt einen improvisirten Zweivers oder eine ganze Strophe, wonach ihm
die Musik nachspielt und die ganze Gesellschaft eine Tour weiter tanzt. Der Pole drückt
im Krakowiak alle seine Gefühle aus, aber Hoffnung und Zuversicht, jugendliche Lust,
Verwegenheit bis zur Keckheit sind die Stimmungen, welche in diesen Liedertänzen
vorherrschen. Der Krakowiak behauptet noch hente in der Volksmusik eine hervorragende
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Volume 19
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Galizien
- Volume
- 19
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1898
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.48 x 22.34 cm
- Pages
- 920
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch