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ihre Studien absolvirten, wiesen eine ziemlich hohe Bildung auf, waren aber den ruthenischeu
Culturbestrebungen bereits größtentheils entfremdet.
ZurZeit, als in Folge der ersten Theilung Polens (1772) die rothruthenischeuFürsten-
thümcr (Galizien) mit Österreich vereinigt wurden, repräsentirte die Ruthenen nur noch die
Geistlichkeit und der durch Leibeigenschaft geknechtete Bauernstand. Es galt daher vor Allem,
der rnthenischen Volksmasse die nnverjährten Menschenrechte zu verschaffen, bevor an ihre
Aufklärung gedacht werden konnte. Aber auch nach der Aufhebung der Leibeigenschaft
(1782) konnte der Volksunterricht keine Wurzeln fassen, bevor nicht die Geistlichkeit auf
ein entsprechendes Niveau der Bildung gebracht war. Dem zufolge errichtete die Kaiserin
Maria Theresia schon im Jahre 1774 an der St. Barbara-Kirche in Wien ein Seminar
für die Candidaten geistlichen Standes r. Fr. und Kaiser Josef II. im Jahre 1783 das
geistliche Generalseminar zu Lemberg. Um die höhere Ausbildung denjenigen, denen die
lateinische Sprache fremd war, zu ermöglichen und wohl auch die rutheuische Sprache in
Galizien zu fördern, erlaubte nachher (1787) der Kaiser, daß in der von ihm 1784
gegründeten Universität an der theologischen und philosophischen Facultät Vorlesungen in
ruthenischer Vortragssprache abgehalten wurden. Im Jahre 1804 wnrden diese Vorlesungen
aufgehoben, doch war der Versuch nicht ohne gute Folge» gewesen. In den Volksschulen
nämlich begann man damals rutheuisch zu lehren.
Während in der Ukraine seit dem Jahre 1798, das ist seit Begiuu der literarischen
Wirksamkeit Iwan Kotlarewskijs, die nationale Literatur angebahnt wurde, haben die
galizischen Stammesgenossen der Ukrainischen Ruthenen (der sogenannten Kleinrussen)
von diesem Aufschwung des geistigen Lebens lange Zeit keine Notiz genommen. Erst
Marciau Saskewyc gilt als Begründer der national-rnthenischen Literatur in Galizien.
Sohn eines ruthenischeu Pfarrers, am 6. November 1811 geboren, befreundete er sich
während seiner Uuivcrsitätsstudien mit mehrere« strebsame» jungen Rnthenen, uameutlich
mit Jakob Hotowackij und Iwan Wahytewyc, worauf alle drei den Entschluß faßten,
Geschichte und Literatur der slavischen Völker zn studireu, insbesondere aber die
Ethnographie und Sprache der Rutheuen kennen zu lernen. M. Saskewyc war das
thätigste Mitglied dieser Gruppe nnd kam bald zu Resultate», welche eine neue Epoche in
der Literaturgeschichte der galizischen Rutheneu herbeiführten. Er lernte nämlich die von
Maksymowyc in Moskau (1827) herausgegebenen kleinrussischen Volkslieder kennen, und
schöpfte die Überzeugung, daß die rnthenischen Volkslieder eine ausgiebige Fundgrube des
Poetischen uud Sprachmaterials abzugeben geeignet seien. Zugleich wurde es ihm klar, daß
einige slavische Völker, namentlich die Eechen und Serben, sich des Unterganges ihrer
Nationalität dadurch erwehrten, daß sie ihre Muttersprache auf Grund der Volkssprache
eultivirteu und in der Volksmasse und deren Sprache die Grundlage der nationalen
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Volume 19
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Galizien
- Volume
- 19
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1898
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.48 x 22.34 cm
- Pages
- 920
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch