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Dieser Zustand und diese Stimmung bezieht sich sowohl auf Galizieu unter der Herrschaft
Österreichs, als auch auf die anderen Theile des alten Polens, die mit den Nachbarreichen
verbunden worden waren. Es hat einerseits vieler Selbsttäuschungen und schrecklicher
Erfahrungen, anderseits eines Überganges aus dem Stadium der Träume und des Strebens
nach unerreichbaren Idealen in das Getriebe positiver Wirklichkeit bedurft, bis die unfaßbaren
Gestalten eine abgegrenzte Form fanden und in der Schöpferkraft der Nation greifbarere
Künste, nämlich Malerei und Plastik die Stelle der Poesie einzunehmen begannen. In
dem Maße, als die Stimme der großen Dichter verhallte und einer von ihnen nach
dem andern zu Grabe ging, kam die Zeit des Erwachens, des Entstehens und der Entwicklung
der bildenden Künste heran. Sie waren zum inneren Bedürfnisse der Gesellschaft geworden,
und namentlich die Malerei, welche in dieser Hinsicht die Hauptrolle spielte, wuchs auf dem
nationalen Boden selbständig empor. Ohne direete Anlehnung an die Erbschaft älterer
heimischer Kunstdenkmäler, ohne an die Fäden der künstlerischen Tradition anzuknüpfen,
welche durch die Theilung, sowie durch die Schicksalsschläge des Laudes zerrissen worden
waren, schöpfte sie neuen Lebenssaft in den Eigenthümlichkeiten der Race und des Volksthums
und wurde eben dadurch eine durchaus polnische Kunst.
In der Geschichte geht jedoch, sowie in der Natur, nichts verloren. Jene Vergangenheit,
deren Bild wir zu entwerfe« versucht haben, ist nicht ohne Wirkungen verhallt. Ehe jedoch
diese Entwicklung um die Mitte unseres Jahrhunderts begann, ehe die Schleusen geöffnet
waren und die Flnth als reiner Strom dahinzufließen anfing, finden wir im Lande Ansätze
zu eiuer künstlerischen Bewegung, durch welche das Interesse an der Kunst belebt und ihre
Blüthe vorbereitet wurde.
Schon um die Neige des vorigen Jahrhunderts wurde in Krakau ein Maler geboren,
dessen Thätigkeit in die Zeit der größten Wirren und fruchtlosen Bemühungen für die
Wiedergeburt des Landes fällt. Es ist dies Michael Stachowiez. Als Künstler von unter-
geordneter Bedeutung verdient er dennoch Erwähnung, da den Gegenstand seiner sehr
fruchtbaren, wenn anch oberflächlichen Kunstthätigkeit die Zeitereignisse, das Leben der
Gegenwart, Krakau mit seiner Bevölkerung, seiner Natur uud Umgebung bilden. Man kann
sagen, daß der blasse, verwischte, deu Mitteln, wie dem Gehalt nach oberflächliche Charakter,
welcher die schlechtesten Arbeiten der letzten Zeit des XVIII. Jahrhunderts kennzeichnet, sich
in der mäßigen Kunstfertigkeit dieses Malers wiederspiegelt, der vom besten Willen beseelt
war und seinerzeit große Beliebtheit genoß. Nicht die Form, sondern der Inhalt seiner Werke
hat die Zeitgenossen interessirt, und das ist es auch, was ihnen heute noch einen historischen
Werth sichert. Ernste Bestrebungen, welche ein bestimmtes Ziel vor Angen hatten, treten
erst in den Dreißiger-Jahren auf, als zur Leitung der zu Beginn des Jahrhunderts aus
bescheidenen Anfängen entstandenen Krakauer Kunstschule der Maler Stattler berufen wnrde.
Galizien. 48
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Galizien, Volume 19
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Galizien
- Volume
- 19
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1898
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.48 x 22.34 cm
- Pages
- 920
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch