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gegeben wird, damit dieselbe ihm in der anderen Welt als Nahrung diene. Dagegen
genießen die Kinder, wenn sie älter werden, wenig Pflege. Sobald sie die Wiege ver-
lassen können, werden sie älteren Geschwistern, mit denen sie die auf Arbeit ausgehenden
Eltern zusammen einsperren, oder sich selbst überlassen. Sind die Eltern zu Hause, so
kriecht und geht das Kind in seinem schmutzigen Hemdchen meist unbeaufsichtigt im Hofe
umher; denn der Schutzengel schützt ihren Liebling vor Gefahren.' Die rutheuische
Mutter fürchtet sich spät abends mit ihrem Kinde nach Hause zu gehen, da böse Geister
dasselbe vertauschen könnten. Nicht von jedem Gaste läßt sie dasselbe anschauen, um es
vor „bösen Augen" zu hüten; wer aber das Kind anschaut, mnß dreimal ausspucken,
wobei die besorgte Mutter ausruft: paslcuäii^m (wehe den bösen Augen).
Schreitet ein Mensch oder ein Thier über ein Kind hinweg, so behindert dies das Wachsen
und Gedeihen des letzteren. Wenn ein schwangeres Weib mehrere Male jemandem begegnet,
der drei Kannen Wasser trägt, so wird es Zwillinge oder Drillinge gebären.
Das rutheuische Kind beginnt schon im fünften Lebensjahre den Eltern kleine Hilfs-
dienste zu leisten; besonders die Obhut der Herden wird ihm anvertraut. Auf der
Wiese und sonst in freier Zeit kommen die Kinder zusammen und führen hier ihre Kinder-
spiele auf, wie: „das Verstecken" (tinurki), das „Ballspiel" (pMa), das „Schaukeln"
„Reiß ab den Schweif" (urnxtist), „ci/iudki" oder »Futki«, das ist die
Übung mit Stöcken nach einem entfernten Ziele zu werfen ?c. Sehr beliebt ist auch das
„Pferdchenspiel" (kvriika kraty); ein Knabe nämlich reitet hiebet dem anderen auf dem
Rücken und recitirt:
„Es reitet dort ein Herr
Auf dem Pferd einher,
Nach dem Herrn ein Bauersmann,
Der sein Pferd Wohl reiten kann, Nach dem Bauersmann ein Jnd,
Sitzt am Pferde gar nicht gut,
Judenbuben hinterdrein
Verloren die Pantöffelein."
Die Schule besucht das Kind sehr unregelmäßig. Dies liegt aber nicht so sehr an
ihm, als vielmehr an den Eltern, welche oft der Schule feindlich gesinnt sind, weil sie in
dem Schulknaben einen unentgeltlichen Hirten, einen Hüter des Hauses, einen Gehilfen bei
allen leichteren Dienstleistungen verlieren. Doch ist in neuester Zeit eine Wendung zum
Besseren bemerkbar, seitdem ein zwanzigjähriger Bauernbursch, vom Volke der „Prophet
von Mahala" - genannt, aufgetreten ist, der demselben gänzliche Enthaltsamkeit vom
Branntwein, sowie den eifrigen Besuch der Volksschule durch die Dorfjugend predigt. In
Folge dessen sind die Schulen der Prnthgegend fast überfüllt.
* „Wenn das Kindchen fällt, der Engel den Polster unterhält", lautet ein diesbezügliches Sprichwort, äit/Qa
in sndsl poäus^ku K5s<1e.)
-Ein Dorf in der Nähe von Czernowitz.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Bukowina, Volume 20
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Bukowina
- Volume
- 20
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1899
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.14 x 21.77 cm
- Pages
- 546
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch