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Parallele mit dem Menschen stellt. Will nämlich der Huzule das deutsche Sprichwort
„Irren ist menschlich" zum Ausdruck bringen, so sagt er: „Das Pferd hat vier Füße und
stolpert; soll da der Mensch, der nur zwei hat, nicht stolpern?" Zu den merkwürdigsten
Einrichtungen, welche durch die Verhältnisse im Gebirge geschaffen wurden, zählt ferner
vor Allem noch das System der sogenannten doclo^vanei. Alte, meist familienlose Huzulen
nehmen nämlich oft selbständige und wohlhabende Wirthe unter der Bedingung an Sohnes-
statt an, daß diese die Adoptiveltern bis zum Tode Pflegen und schließlich standesgemäß
beerdigen, wofür ihnen das Vermögen derselben zufällt. Zu solchen „Adoptivkindern"
wählt man nicht selten Juden, weil vorausgesetzt wird, daß diese die übernommenen
Verpflichtungen im eigenen Interesse einhalten werden; mit Verwandten tritt man dagegen
höchst selten in ein derartiges Verhältniß, weil von diesen, die ohnedies erbberechtigt zu
sein glauben, die Einhaltung der Vertragspunkte nicht erwartet wird. Es ist übrigens klar,
daß das Verhältniß zwischen dieser Art von Adoptiveltern und Adoptivkindern im Vergleiche
zu unseren gewöhnlichen Anschauungen geradezu ein verkehrtes ist. Der Adoptirte ist
eigentlich der Ernährer und die Adoptireudeu sind die Pfleglinge. Trotzdem sprechen die
Adoptirten die sie Adoptirenden mit „Väterchen, Mütterchen" an und werden von diesen
mit „Söhnchen" angeredet. Zuweilen werden übrigens zwei ,liocko>vunci" angenommen,
und zwar mitunter ein Hnznle und ein Jude. Auch geschieht es in einzelnen Füllen, daß
die Pflegeeltern dem „Adoptivkind?" die Nutznießung der Wirthschaft schon bei Lebzeiten
übertragen. Die Verträge, welche diesen Adoptionen oder Abrogationen stets zu Grunde
liegen, werden in der Regel schriftlich, seltener mündlich vor Zeugen abgeschlossen. Hält
der .doclcnvgnvc" seine Verpflichtungen nicht ein, so kann der Vertrag aufgehoben werden.
Die Entwicklung dieser eigenthümlichen Einrichtung erklärt sich leicht aus deu Lebens-
verhältnissen im Gebirge, die insbesondere alten vereinsamten Leuten unüberwindliche
Schwierigkeiten bereiten. Mit dem Schwinden dieser mißlichen Verhältnisse infolge der
fortschreitenden Cultur und dem gleichzeitig wachsenden Werthe des Grundbesitzes beginnt in
manchen Gegenden diese Institution bereits abzukommen.
Es ist selbstverständlich, daß das Gebirge auch auf die anderen Lebensverhältnisse,
besonders auf Kleidung und Beschäftigung, mannigfaltigen Einfluß äußert. Das wichtigste
Unterscheidungsmerkmal in der Tracht der Huzulen gegenüber derjenigen des Hügelländers
ist die Kürze seines ärmellosen Pelzes und des darüber getragenen Mantels; dies entspricht
offenbar den Bedürfnissen des Gebirgsbewohners. Nur bei besonderen festlichen Anlässen,
z. B. der Trannug, ferner bei anhaltendem Regenwetter und strenger Kälte wird über den
kurzen Mantel auch noch ein langer umgeworfen. Dieser zweite Mantel entspricht deni
Bedürfnisse nach wärmerer Kleidung im Gebirge. Auch die wollenen Frauenhosen, welche
aus zwei getrennten Stücken bestehen und unter dem auch bei den Rusnaken und Rumänen
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Bukowina, Volume 20
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Bukowina
- Volume
- 20
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1899
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.14 x 21.77 cm
- Pages
- 546
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch