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In die Kompetenz der Volksgerichte gehören hauptsächlich Familienstreitigkeiteii,
sofern sie nicht in der Lamora earitatis geschlichtet werden können; Paternitätsklagen,
Grenz- und Theilnngsstreitigkeite». Das Urtheil lautet in der Regel auf Entschädigung
des Geschädigten, mitunter auch auf körperliche Strafe, die sofort vollzogen wird.
Den meisten Anlaß zu häuslichem oder Bruderzwist gebe» böse Zungen, denn ein
altes Wort sagt: ,?Ii jexiei drucu ?uva6iee" (Böse Zungen brachten Brüder zum Streit),
nnd das auch hier berüchtigte Verhältnis der Schwiegermutter zur Schwiegertochter,
welche den Haß auch ihren Männern mittheilen. In einem Orte bei Gacko hatten die
Weiber Vater und Sohn so gegeneinander aufgereizt, daß sie sich gegenseitig mit Todtschlag
bedrohten. Die Sache wurde vor ein Volksgericht gebracht, welchem der Vojvoda Bogdan
Zimonjiö präsidirte. Als der Streitfall vorgebracht wurde, ließ er die beiden Weiber,
Schwiegermutter und Schwiegertochter, welche ihre Männer zum Streite gehetzt, vorführen
nnd vernrtheilte erstere zu 20, letztere zu 25 Stocksireichen, ohne weiter zu untersuche»,
welche die Schuldigere sei. Die Exemtion wurde durch die beiden Männer vor allem
Volke vollzogen, und mit dem Momente kehrten Friede und Eintracht in jenes Haus ein.
Bei Paternitätsklagen wurde, falls der Geklagte geständig war, auf Anerkennung
des unehelichen Kindes, auf Einhaltung des Eheversprechens oder ans Schadenersatz,
dessen Betrag oft sehr hoch, mitunter 1000 Thaler war, erkannt.
Verlegte sich der Beschuldigte aufs Leugnen, so stand es der Klägerin frei, auf
einem Reinigungseid zu bestehen oder ein Gottesnrtheil zu fordern. Der Geklagte durfte
sich aber nicht persönlich „losschwören" (vtkleti se), sondern mußte zwei Eideshelfer
stellen, die für ihn feierlich den Eid leisteten. Gelang ihm das, so wurde er ohueweiters
freigesprochen. Diese Reinigungseide siud dem Sinne nach eher Flüche, denn man wendet
dabei zumeist Phrasen an, wie: „Gott gebe, wenn er schuldig ist, daß er nie die Sonne
sehe; was er schaut, erscheine ihm schwarz, und nur die Pupille weiß; — die Mutter küsse
ihm die kalte Stirne, — der Blitz entreiße ihn dem Donner, — sein Licht verlösche. —
Schlangen mögen ihm die Augen aussaugen, Hexen das Herz zernagen. — Im Leibe
möge ihm Gras keimen nnd die Erde seine Knochen ausspeien." Bei jeder dieser Ver-
wünschungen klopfen die Eideshelfer mit zwei Steinen, die sie in den Händen halten,
aneinander.
Das Gottesnrtheil bestand in einer Feuerprobe und ist zweifellos ein aus dem
Mittelalter überlieferter Rest von Ordalien. Die Probe wnrde in folgender Weise vor-
genommen. Man erhitzte in einem Kessel reines Qnellwasser bis zum Siedepunkte, und
gleichzeitig erhitzte man bis zur Glut ein Stück Stahl (ma?ija, wovon die ganze Procedur
den Namen „Stahlheben" erhielt) oder ein Hufeisen. Der Beschuldigte, sowie dessen
Rechtshelfer wuschen sich nun mit Seife und reinem kalten Wasser sorgfältig die Hände,
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Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Bosnien und Herzegowina, Volume 22
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Bosnien und Herzegowina
- Volume
- 22
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1901
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.34 x 22.94 cm
- Pages
- 536
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch