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worauf man das glühende Eisen in das siedende Wasser warf. Der Beschuldigte taucht
nun mit der noch feuchten und kühlen Hand in das siedende Wasser, erhascht mit einem
raschen Griff das Eisen und schleudert es hinaus. Das Gleiche müssen auch seine Rechts-
helfer thun. Gelingt ihnen diese Procedur, ohne sich zu verbrühen — was bei einiger
Übnng gar nicht unmöglich ist — so wird der Beschuldigte freigesprochen, sonst aber ist
er sachfällig. Derartige Gottesurtheile waren auch bei anderen Vergehen oder Verbrechen,
bei Raub, Brandstiftung u. s. w. gebräuchlich, wenn es nicht ans andere Weise gelingen
wollte, den Beschuldigten zu überführen.
Zu diesen Ordalien gehört ferner die Hexenprobe, welche anch in Bosnien im Wasser
vorgenommen wurde. Kam über ein Dorf Unheil, und schrieb es der Aberwitz dem
bösen Zauber einer Hexe zu, so wurden alle Weiber znm nächsten Teich oder Fluß gebracht,
um sich der Probe zu unterziehen. Bevor sie aber ins Wasser sprangen, wurde ihnen die
Mundhöhle untersucht, ob sie nicht ein Stück Blei nnter der Zunge verborgen hätten,
da das Volk der Ansicht ist, daß dieses, nnd sei es noch so winzig, den Körper unter
Wasser ziehen würde. Als Hexe wurde die, welche uicht tauchen konnte, erkannt und an Ort
nnd Stelle gesteinigt. Angenzengen derartiger Hexenproben kann man noch häufig antreffen.
Grenzstreitigkeiten entstehen meist in der Weise, daß man mit oder ohne Absicht,
beim Ackern oder Mähen über die Grenze greift nnd so mit der Zeit sein Ackerfeld zum
Schaden seines angrenzenden Nachbars vergrößert. Kommt es nun zu einer Klage wegen
Grenzverletzung, so werden von beiden Seiten Schiedsrichter erwählt, welche es vorerst
versuchen, einen Vergleich zu Stande zu bringen. Gelingt dieses nicht, so wird ein Verfahren
vorgenommen, das im Volke „trn i bus" (Dorn und Rasen) oder ,mekala" heißt.
Der der Grenzverletzung Beschuldigte nimmt einen Dornbusch und ein Rasenstück
auf die Schulter und schreitet damit die Grenzlinie, die er für die richtige hält, ab, und
die dann ausgesteckt wird. Mitunter leistet er vorher den Eid, daß er nach Treu und
Glauben vorgehen werde, doch ist dies nicht immer nöthig, da der Act für so heilig gehalten
wird, daß das Volk ohneweiters die Grenze anerkennt, welche der Beschuldigte abschreitet;
denn niemand würde es wagen, unter der Last des Dornes und Rasens eine falsche Grenze
abzugehen. Sollte es doch der Fall sein, so würde er nie Ruhe finden, weder leben noch
sterben können, und das Unglück würde sich an sein Hans heften. Diese Heiligkeit charak-
terisirt folgende Sage, die ich in Fojnica bei Nevesinje hörte. Ein Bauer eignete sich
einen Theil des Nachbarfeldes an. Als es zum Dorn und Rasen kam, ersann er eine List.
Er grub an der falschen Grenze eine Grube, setzte seinen Sohn hinein und bedeckte sie mit
Rasen. Vor dem Abschreiten sagte er, er werde die Erde selbst befragen, und wo sie dann
antworte, daß die Grenze sei, sie aceeptircn. Während des Abschreitens frug er wiederholt:
,Erde, sage mir wahr, wo meine Grenze sei?" erhielt aber erst bei jener Grube die
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Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Bosnien und Herzegowina, Volume 22
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Bosnien und Herzegowina
- Volume
- 22
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1901
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.34 x 22.94 cm
- Pages
- 536
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch