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Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß dieser Gedanke wieder eingeschlafen wäre
und der Sonderbnnd sich von selbst aufgelöst hätte, wäre uur das Mutterland wieder zn
seinen alten Kräften gelangt und damit imstande gewesen, die vorstürmende osmanische
Flut in ihr Bett znrückzuzwingen. Allein dies konnte nicht geschehen, und weil es nicht
geschah, wurden die Constituiruug und das Bündnis der drei politischen Nationen, die
unter anderen Verhältnissen beinahe einer Auflehnung der Theile gegen das Ganze
geglichen hätten, zu einem wirksamen Mittel für die Erfüllung der neuen Aufgaben, die
dem in Lossondernng begriffene» Siebenbürgen dnrch eine Reihe stürmischer, staatzertrüm-
mernder Ereignisse zufielen.
Diese Erschütternngen waren die Niederlage bei Mohäcs, die Einnahme Ofens nnd
die späteren durchgreifenden Folgeereignisse. Die türkische Eroberung drang wie ein Keil
in den Körper des Landes ein uud sprengte das ungarische Reich entzwei; zwei gekrönte
Häupter machte» sich die Köuigsivürde streitig: der österreichische Erzherzog Ferdinand
und der Wojwode von Siebenbürgen, Johann Zäpolya.
Den westlichen Theil des Landes zog die unter Ferdinand nachgerade entstehende
Großmacht, die sich theils auf die blühenden Länder der böhmischen Krone, theils auf das
große Deutsche Reich stützte, schon aus Selbsterhaltungstrieb in ihren Jnteressenkreis. Allein
die Aussteckuug und entsprechende eentrale Orgauisiruug dieses Jnteresseukreises geschah, so
sehr sie an sich berechtigt sein mochte, keineswegs in magyarischem Sinne, sonder» war
vielmehr diesem Sinne fremd.
Dem gegenüber suchte denn der östliche Theil unter dem nationalen Gegenkönig in
Siebenbürgen einerseits Rückendeckung, anderseits die Basis zu finden, von der aus
mittelst der in diesem Boden wurzelnden Kräfte und Faetoren, der losgetrennte westliche
Theil zurückzuerobern nnd der zerfallene ungarische Staat — vorderhand wohl in, Bunde
mit den Türken oder richtiger: unter deren Protection, aber in der Hoffnung auf zukünf-
tige Unabhängigkeit — wieder einheitlich zu machen wäre. Diese Idee saud iu dem genialen
Panlinermönch Georg Martinnzzi (Frater György, Bruder Georg) einen gewaltigen Ver-
treter; der Boden aber, aus dem diese Idee ihre Kraft schöpfte, war Siebenbürgen nebst
dem gleichgesinnten Lande jenseits der Theiß.
So lange man glauben konnte, die türkische Eroberung habe nur einen provisorischen
Charakter, hatte dieser großzügige Plan Frater Georgs seine Berechtigung. Allein sowohl
der Plan, als auch das Vertrauen auf ihn erwies sich bald genug als Phantom. Sein
eigener Schöpfer gab ihn unter dem zwingenden Druck der Verhältnisse auf, und er, dem
als Endziel die Einheit des Landes vorgeschwebt, aceeptirte als Grundlage des Einheits-
planes die auf dem Besitz der westlichen Theile beruhende gesetzliche Königsmacht, die auch
den Beistand des mächtigen römisch-deutschen Kaiserthums in Aussicht stellte. So sehen
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (7), Volume 23
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (7)
- Volume
- 23
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1902
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.13 x 23.25 cm
- Pages
- 622
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch