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wir Siebenbürgen und das Theißgelände, der neuen Politik Frater Georgs folgend, unter
Habsbnrgischer Oberhoheit sich mit dem westungarischen Gebiete vereinigen. Allein nur
für kurze Zeit. Die kurze Dauer dieser Einheit ist aus dem Gesichtspunkte einer Politik zu
beurtheilen, die bei der Unsicherheit aller Verhältnisse, unter all den Zweifeln und Hoff-
nungen auch nur eine sehr veränderliche sein konnte. Ihre Hauptbediugung war, daß die
Macht der Habsburger die Türken vom ungarischen Boden vertreibe. Sobald der König
von Ungarn sich hiefür zu schwach und die Verhältnisse sich ungünstig erwiesen, wurde das
Bestreben, die beiden durch jenen tief eingetriebenen Keil völlig getrennten Theile mittelst
weniger schwacher Berührungspunkte wieder fest zusammenzuschließen, eine gezwungene,
den neuen Verhältnissen widersprechende, ja naturwidrige Sache.
Siebenbürgen war nämlich nicht mehr, was es im ungarischen Mittelalter gewesen.
Es war nicht mehr die mächtige Eckbastion einer wohlerhaltenen Festung. In dieser
Beziehung hatte die türkische Eroberung seine Lage völlig verändert.
Wie ein Strom, der seine Dämme zerreißt und über das niedrige Überflutungs-
gebiet hinwegbraust, so hatte die türkische Eroberung das große ungarische Alsöld zwischen
Donau und Theiß und längs der Ufer dieser Flüsse überschwemmt. Aus diesem Über-
flutungsgebiet erhob sich Siebenbürgen bereits als Insel, denn seine einzige Verbindung
mit dem westnngarischen Gebiet war jener schmale, halbkreisförmige Streifen, der aus dem
nördlichen Oberlande am Fuße der Karpathen, dem Besitzthume des Königs von Ungarn,
bestand. Diese topographische Caricatur war keine einheitliche, abgerundete Festung mehr,
sondern blos ein krummer Uferrand an dem Meere der mohammedanischen Machtentfaltung.
Davon konnte Siebenbürgen mit seinem ansehnlichen Gebiet nicht mehr die Eckbastion
sein. Es wurde sein eigener Zweck, ein Staatskörper, der auch von dem oberungarischen
Gebiet so viel an sich zu ziehen strebt, als das Interesse seiner Existenz erfordert. Die alte
Idee Frater Georgs verwirklicht sich in kleinerem Maßstabe und engerem Rahmen, doch
in gesunder Weise: Siebenbürgen tritt als Staat auf, als „Land Siebenbürgen", das
nun einen politischen internationalen Begriff bildet, ein mittlerweile zum Glück völlig
ausgebildeter Organismus, mit seinem System der drei politischen Nationen, und über-
nimmt von dem ungarischen Königreich, dessen Trümmer nunmehr im westeuropäischen
Jnteressenkreis aufgehen und anch in ihrer Selbständigkeit erschüttert waren, die drückende
Erbschaft der Rolle, die ungarische Staatsidee aufrecht zu erhalten und der Pflicht, die
ungarische nationale Cultur weiterzupflegeu.
Auf diese Weise wuchs sich die hochwichtige, aber an Bedeutung untergeordnete
Aufgabe, die Siebenbürgen während des ungarischen Mittelalters zugefallen war, an
Inhalt und Umfang so ideal aus und gewann einen so absoluten Werth, daß von ihrer
Erfüllung Sein oder Nichtsein des ungarischen Staates, der ungarischen Nation abhing.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (7), Volume 23
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (7)
- Volume
- 23
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1902
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.13 x 23.25 cm
- Pages
- 622
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch