Page - 566 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Ungarn (7), Volume 23
Image of the Page - 566 -
Text of the Page - 566 -
566
Wer auf dem Rosenhügel zu Budapest das Grab Gülbabas besucht, wird dort zu-
weilen Menschen solcher Art und mit solchen Gesichtszügen sehen; Derwische aus dem
Kloster zu Lahors, die herbeigepilgert sind. Wenn er sie sprechen hört, spielen bekannte
Tonwellen um sein Ohr, und wer gar die Sprache der Zigeuner kennt, versteht auch ein
und das andere Wort ihrer Rede. Denn die Zigeuner haben sich vom Fuße des Himalaya
aus zerstrent, und der Name dieses Gebirges bedeutet auch in der Sprache der Zigeuner
das „Schneetragende", wie in der Hindusprache.
Die Urheimat der Zigeuner ist an der nordwestlichen Grenze Indiens, in Kafiristan
und Dardistan zu suchen. Wann sie von dort aufgebrochen sind, ist nicht zu ermitteln. Als
sie in Europa erschienen, konnten sie über ihre Urheimat nichts mehr aussagen. An
manchen Orten sagten sie, sie stammten aus Kleiu-Egypten. Man verstand darunter das
Nilgelände, und darum werden sie von vielen Völkern nach diesem benannt, während
andere diesen unbekannten Stamm mit einem dem ungarischen ähnlichen Worte
bezeichnen. Nach dem Tagebuche Johann Komaromi's, Secretärs des Emerich Thököly,
wurde die Umgebung der kleinasiatischen Stadt Nikomedia damals Klein-Egypten genannt.
Hier mögen die Zigeuner auf ihrem Wege nach Europa durchgezogen seiu, wo sie Anfangs
des XV. Jahrhunderts sich zu verbreiten beginnen. Über die Türkei und Griechenland
gelangten sie nach Ungarn, Rußland und Polen, von Ungarn über Deutschland nach
Italien, Frankreich, Spanien, England und Skandinavien. Nach Griechenland war es
Ungarn, wo sie längere Rast machten, und von hier zerstreuten sie sich gegen Westen
und Norden.
In Ungarn tauchen sie im Jahre 1417 an mehreren Punkten in Menge auf.
Wahrscheinlich aber hat es hier auch früher Zigeuner gegeben. Schon in einer Urkunde
von 1393 kommt ein Edelmann „Michael de Czigäuy" vor. König Sigismnnd stellte im
Jahre 1423, Matthias 1476 und 1487, Wladislans 1492 und 1496, Königin Jsabella
1557, Sigismund Bäthory 1581 Freibriefe, Empfehlungsschreiben, Sicherheitsbriefe für
die Zigeuner aus. Auch der fiebeubürgische Landtag beschäftigte sich wiederholt mit ihrer
Angelegenheit. Maria Theresia wollte sie 1761 zu dauernder Niederlassung verhalten;
1763 aber verfügte sie, daß den Zigeunern die Kinder weggenommen und von
Angehörigen anderer Nationalitäten erzogen werden sollen, und daß kein Zigeuner eine
Zigeunerin heiraten dürfe. Doch blieb dies ebenso erfolglos, als der menschenfreundliche
Erlaß Josefs II. vom Jahre 1783. Reichstage und Regierungen, Commissionen und
Muuicipieu ließen sich die Ordnung dieser Sache nicht wenig angelegen sein. Im
Allgemeinen aber hatten diese Verfügungen bisher wenig Erfolg, wohl auch darum,
weil die Natur der Zigeuner und die Eigenart ihrer Rasse nicht genügend in Betracht
gezogen wurde.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (7), Volume 23
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (7)
- Volume
- 23
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1902
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.13 x 23.25 cm
- Pages
- 622
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch