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Lernen kann der Mensch immer – auch ohne Lehren. Das gilt ganz besonders im Zusammenhang mit digi-
talen Technologien, die zahlreiche Lernchancen und -anlässe bieten, ohne dass Lehrende diese explizit zu
Bildungszwecken arrangiert haben müssen. Lehren ohne Lernen dagegen ist sinnlos, denn: Ziel allen Leh-
rens (und damit auch aller Bildungsinstitutionen, in denen gelehrt wird) muss das Lernen sein. Es ist daher
zunächst einmal naheliegend anzunehmen: Wenn ich weiß, wie Lernen funktioniert, weiß ich auch, wie
man am besten lehren kann. Wie man lernt, darüber sollten Lerntheorien Auskunft geben. Lerntheorien ver-
suchen, zu beschreiben und zu erklären, nach welchen Prinzipien oder gar Gesetzen Lernen „funktioniert“.
Mit Lernen wiederum meint man in der Regel einen Erfahrungsprozess, der dazu führt, dass eine Person re-
lativ stabile Dispositionen aufbaut und in der Folge ihr Verhalten, Handeln, Denken, Fühlen oder Meinen
verändert. Lerntheorien sollten also, so könnte man folgern, am Anfang stehen, wenn man die Rolle des
Lehrenden innehat und Lernprozesse (unter anderem mit technologiegestützten Bildungsangeboten) fördern
will. Allerdings gibt es verschiedene Lerntheorien, sodass man sich offenbar für eine Lerntheorie entschei-
den oder zumindest wissen muss, welche Lerntheorie für welche Zwecke brauchbar ist. Novizen auf dem
Gebiet des Lehrens und Lernens gehen denn auch oft davon aus, dass ihnen Lerntheorien den Weg zum
rechten Lehren weisen – nach dem Motto: „Sag mir, welche Lerntheorie ich nehmen soll, und ich weiß,
was zu tun ist.“ Der viel diskutierte „shift from teaching to learning“ scheint Gedankenketten dieser Art auf
den ersten Blick zu bestärken: Wenn der Fokus auf den Lernenden und ihren Lernprozessen liegt, kann es
nicht falsch sein, das Lehrhandeln an Lerntheorien auszurichten – den „richtigen“ natürlich. Um beurteilen
zu können, ob diese Überlegungen stichhaltig sind oder besser verworfen werden sollten, muss man sich
genauer ansehen, welche Lerntheorien es überhaupt gibt und was diese leisten können.
Leider ist alles andere als klar, was eine Lerntheorie eigentlich ist. Im Allgemeinen werden die drei großen
Theoriesysteme des Lernens als die Lerntheorien bezeichnet: Behaviorismus, Kognitivismus und Konstruk-
tivismus. Aber auch theoretische Annahmen etwa über das Gedächtnis, das Lernen mit verschiedenen Sym-
bolsystemen oder die Rolle der Erfahrung beim Lernen können einem in der wissenschaftlichen Literatur
als Theorie oder Modell begegnen. Orientiert man sich an der Verwendungshäufigkeit, liegt es nahe, Lern-
theorien auf die großen Theoriesysteme des Lernens zu beschränken. Unterhalb von Lerntheorien in diesem
Sinne findet man eine Vielzahl von (behavioristischen, kognitivistischen, konstruktivistischen) Teil- oder
Partialtheorien, Modellen und Konzepten (vgl. Kron, 2008, 56 f.).
Behaviorismus. Im Behaviorismus spielen Tierversuche (mit Hunden, Tauben, Ratten) eine bekannte
Rolle, bilden aber nur auffällige Wegmarken dieser Lerntheorie, deren Prinzipien vor allem die Psychologie
bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts dominiert haben. Grundlage des Behaviorismus ist das Reiz-Reaktions-
Modell. An mentalen Prozessen zwischen Reiz und Reaktion ist der Behaviorismus dagegen nicht interes-
siert (Black-Box-Denken). Das Gehirn wird als ein Organ angesehen, das auf Reize mit angeborenen oder
erlernten Verhaltensweisen reagiert. Nachfolgende Konsequenzen gelten als neue Reize, die das Verhalten
formen. Damit sind zwei Konditionierungsmodelle (also behavioristische Teiltheorien) angesprochen: Beim
klassischen Konditionieren wird ein an sich neutraler Reiz zeitlich mit einem Reiz gekoppelt, der eine (re-
flexartige) Reaktion auslöst, sodass der erstere später auch allein die Reaktion bedingt. Das funktioniert be-
sonders gut bei physiologischen, aber auch emotionalen Reaktionen wie Furcht und Stress (Watson & Ray-
ner, 1920). Beim operanten Konditionieren wird ein spontanes Verhalten mit einem angenehmen Reiz (po-
sitiv) oder durch Entfernung eines unangenehmen Reizes (negativ) verstärkt und auf diese Weise geformt
(Skinner, 1954). Dass Verhaltensweisen nicht nur durch eigenes Tun und Verstärkungen, sondern auch
durch Beobachtung und Nachahmung erlernt werden können, hat Bandura (1977) mit dem Lernen am Mo-
dell gezeigt: Hier ist das Modellverhalten ein Hinweisreiz für eine Nachahmungsreaktion. Nachgeahmt
wird das Verhalten dann, wenn das Modell dem Beobachter ähnlich und erfolgreich ist. Die Prinzipien des
Behaviorismus werden hier um kognitive und soziale Aspekte erweitert. Behavioristische Lerntheorien be-
ruhen auf einer großen Anzahl von Laboruntersuchungen, in denen man sich grundsätzlich nur für beob-
achtbares Verhalten interessiert; innere Vorgänge kommen erst in Banduras Prinzip der Nachahmung all-
mählich zum Tragen. Forschungsmethodisch setzt der Behaviorismus auf experimentalpsychologische Ver-
fahren, um Ursache-Wirkungs-Beziehungen aufzudecken und Prozesse der Verhaltensänderung möglichst
eindeutig beschreiben und erklären zu können. Das Menschenbild im Behaviorismus ist mechanistisch und
geprägt von Konditionierungsprozessen. Lernen gilt als Sonderform des Verhaltens und wird als eine Art
Trainingsvorgang verstanden. Beim Lehren soll bezogen auf ein bestimmtes Ziel Verhalten gesteuert und
verändert werden. Fast zwangsläufig resultiert aus dieser Auffassung eine eher autoritäre Rolle der Lehren-
den: Sie haben eine starke Machtposition und entscheiden, was wie zu lernen ist. Sie gestalten „Reizsitua-
tionen“ und Konsequenzen so, dass die angestrebten Lernergebnisse eintreten und stabilisiert werden.
L3T
Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Title
- L3T
- Subtitle
- Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Editor
- Martin Ebner
- Sandra Schön
- Publisher
- epubli GmbH
- Location
- Berlin
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 3.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 594
- Keywords
- L3T, online
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- Einleitung 1
- Einführung 11
- Von der Kreidetafel zum Tablet 27
- Die Geschichte des WWW 39
- Hypertext 51
- Geschichte des Fernunterrichts 65
- Informationssysteme 75
- Webtechnologien 89
- Multimediale und interaktive Materialien 99
- Standards für Lehr- und Lerntechnologien 109
- Human-Computer-Interaction 117
- Didaktisches Handeln 127
- Medienpädagogik 139
- Systeme im Einsatz 147
- Kommunikation und Moderation 157
- Forschungszugänge und -methoden 167
- Planung und Organisation 177
- Literatur und Information 185
- Die „Netzgeneration“ 201
- Multimedia und Gedächtnis 209
- Mobiles und ubiquitäres Lernen 217
- Prüfen mit Computer und Internet 227
- Blogging und Microblogging 239
- Vom Online-Skriptum zum E-Book 249
- Educasting 257
- Game-Based Learning 267
- Einsatz kollaborativer Werkzeuge 277
- Offene und partizipative Lernkonzepte 287
- Qualitätssicherung im E-Learning 301
- Offene Lehr- und Forschungsressourcen 311
- Lernen mit Videokonferenzen 319
- Simulationen und simulierte Welten 327
- Barrierefreiheit 343
- Genderforschung 355
- Zukunftsforschung 363
- Kognitionswissenschaft 373
- Diversität und Spaltung 387
- Lern-Service-Engineering 397
- Medientheorien 405
- Das Gesammelte interpretieren 413
- Wissensmanagement 421
- Sieht gut aus 427
- Urheberrecht & Co. in der Hochschullehre 435
- Interessen und Kompetenzen fördern 445
- Spielend Lernen im Kindergarten 455
- Technologieeinsatz in der Schule 465
- Technologie in der Hochschullehre 475
- Fernstudium an Hochschulen 483
- Webbasiertes Lernen in Unternehmen 489
- E-Learning in Organisationen 497
- Erwachsenen- und Weiterbildung 507
- Freie Online-Angebote für Selbstlernende 515
- Sozialarbeit 525
- Human- und Tiermedizin 531
- Online-Labore 539
- Mehr als eine Rechenmaschine 547
- Bildungstechnologien im Sport 557
- Fremdsprachen im Schulunterricht 569