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Die globale Wissensgesellschaft ist bis in die meisten Lebensbereiche hinein von Wissenschaft und
Technik geprägt. Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien haben alle gesellschaftlichen
Subsysteme, das Bildungssystem eingeschlossen, verändert. Alles weist darauf hin, dass es an der Zeit wä-
re, neu über die Beziehung von Menschen und Technik zu denken. Trotzdem werden die meisten Diskus-
sionen über die Rolle von Technik in Bildung auf Grund der nicht mehr aktuellen Theorien eines Technik-
determinismus einerseits oder eines Sozialdeterminismus andererseits geführt. Weil diese Theorien immer
noch einflussreich sind, lohnt es sich, sie kurz zu erläutern.
Der Technikdeterminismus geht davon aus, dass die Gesellschaft durch technologische Entwicklungen
bestimmt ist. Die Technik beeinflusst menschliches Verhalten und soziale Kommunikation. So behauptet
der Technikdeterminismus beispielsweise, dass Steinwerkzeuge, die Schrift, die Dreifelderwirtschaft, Mas-
senmedien und vergleichbare Schlüsseltechnologien soziale und kulturelle Anpassungen hervorgerufen und
ganze Epochen geprägt haben (White, 1962; Innis, 1972). Aus technikdeterministischer Sicht wird Technik
oft als „Sachzwang“ oder als sich verselbstständigende Entäußerung beziehungsweise Erweiterung des
Menschen betrachtet (Schelsky, 1965; Gehlen, 1986). Modelle technischer Rationalität wie zum Beispiel
die Kybernetik und Künstliche Intelligenz (du Boulay & Mizoguchi, 1997), welche etwa die Entwicklung
von Lernmaschinen maßgeblich beeinflussten (Pask, 1975; Pask, 1976), verstehen kognitive Prozesse und
Lernen als etwas, das technisch nachgebaut und optimiert werden kann. Aus der Perspektive des Technik-
determinismus gibt es keinen Grund, Technik als etwas Fremdartiges oder den Bildungszielen der Schule
Entgegengesetztes zu betrachten. Wie in allen anderen Bereichen der Gesellschaft hat die Technik eine ent-
scheidende Rolle zu spielen und jeder Versuch, ohne Technik durchzukommen, ist vergeblich und rück-
wärtsschauend.
Im Gegensatz dazu setzt der Sozialdeterminismus den Menschen in den Mittelpunkt. Der Mensch be-
stimmt, wie Technik entwickelt und eingesetzt wird. Wissenschaft und Technik haben kein Eigenleben, sie
sind bloße Werkzeuge, deren Gebrauch von gesellschaftlichen Entscheidungen abhängt. Neuere soziologi-
sche und erziehungswissenschaftliche Studien über Technik in Bildung (Luhmann & Schorr, 1986, 1990,
1992; Luhmann, 2002) warnen davor, eine technologische Rationalität und Instrumentalisierung des Men-
schen durch Technik im Bildungssystem zu institutionalisieren. Aus der sozialdeterministischen Perspekti-
ve gibt es gute Gründe, den Einsatz von Technik in der Bildung zu misstrauen. Obwohl das Bildungssystem
die Aufgabe hat, aus Nicht-Wissenden Wissende, aus Nicht-Kompetenten Kompetente zu „machen“, sollte
im Sinne des kategorischen Imperativs der Mensch immer als Selbstzweck behandelt werden. Dies ver-
langt, dass didaktische Instrumente oder erzieherische „Techniken“ in Frage gestellt werden und deren Wir-
kung und Einfluss auf Bildungsprozesse Grenzen gesetzt werden sollen. Technik ist keine Partnerin im Sys-
tem Bildung, sondern ein bloßes Instrument, das nur dann eingesetzt werden sollte, wenn es die zwischen-
menschliche Kommunikation nicht hindert oder gar ersetzt.
Zwischen diesen entgegengesetzten Alternativen stellt die Akteur-Netzwerk-Theorie einen Mittelweg des
Verständnisses der Beziehung zwischen Mensch und Technik dar. Die Technik ist weder ein bloßes Instru-
ment, noch eine Determinante, die das soziale Leben bestimmt. Vielmehr bilden Mensch und Technik zu-
sammen Akteur-Netzwerke. Personen, Gruppen, Organisation, Institutionen, aber auch Artefakte, Bücher,
Infrastrukturen, Gebäude, Maschinen und vieles mehr gelten als „Akteure“, die sich zu Netzwerken zusam-
menschliessen. Eine wichtige theoretische Innovation der ANT liegt in der Akzeptanz nicht-menschli-
cher Akteure in die Gesellschaft. Als Akteur gilt grundsätzlich alles, was in der Lage ist, das Verhalten und
die Ziele eines Netzwerkes zu beeinflussen. Jeder Akteur, ob Mensch oder Maschine, hat eigene Ziele, ein
eigenes „Handlungsprogramm“. Er versucht, die Handlungsprogramme anderer Akteure in sein Pro-
gramm zu „übersetzen“, um diese Akteure in ein Netzwerk einzubinden, das seinen Zielen entspricht.
L3T
Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Title
- L3T
- Subtitle
- Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Editor
- Martin Ebner
- Sandra Schön
- Publisher
- epubli GmbH
- Location
- Berlin
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 3.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 594
- Keywords
- L3T, online
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- Einleitung 1
- Einführung 11
- Von der Kreidetafel zum Tablet 27
- Die Geschichte des WWW 39
- Hypertext 51
- Geschichte des Fernunterrichts 65
- Informationssysteme 75
- Webtechnologien 89
- Multimediale und interaktive Materialien 99
- Standards für Lehr- und Lerntechnologien 109
- Human-Computer-Interaction 117
- Didaktisches Handeln 127
- Medienpädagogik 139
- Systeme im Einsatz 147
- Kommunikation und Moderation 157
- Forschungszugänge und -methoden 167
- Planung und Organisation 177
- Literatur und Information 185
- Die „Netzgeneration“ 201
- Multimedia und Gedächtnis 209
- Mobiles und ubiquitäres Lernen 217
- Prüfen mit Computer und Internet 227
- Blogging und Microblogging 239
- Vom Online-Skriptum zum E-Book 249
- Educasting 257
- Game-Based Learning 267
- Einsatz kollaborativer Werkzeuge 277
- Offene und partizipative Lernkonzepte 287
- Qualitätssicherung im E-Learning 301
- Offene Lehr- und Forschungsressourcen 311
- Lernen mit Videokonferenzen 319
- Simulationen und simulierte Welten 327
- Barrierefreiheit 343
- Genderforschung 355
- Zukunftsforschung 363
- Kognitionswissenschaft 373
- Diversität und Spaltung 387
- Lern-Service-Engineering 397
- Medientheorien 405
- Das Gesammelte interpretieren 413
- Wissensmanagement 421
- Sieht gut aus 427
- Urheberrecht & Co. in der Hochschullehre 435
- Interessen und Kompetenzen fördern 445
- Spielend Lernen im Kindergarten 455
- Technologieeinsatz in der Schule 465
- Technologie in der Hochschullehre 475
- Fernstudium an Hochschulen 483
- Webbasiertes Lernen in Unternehmen 489
- E-Learning in Organisationen 497
- Erwachsenen- und Weiterbildung 507
- Freie Online-Angebote für Selbstlernende 515
- Sozialarbeit 525
- Human- und Tiermedizin 531
- Online-Labore 539
- Mehr als eine Rechenmaschine 547
- Bildungstechnologien im Sport 557
- Fremdsprachen im Schulunterricht 569