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Ein Akteur, welcher erfolgreich in ein Netzwerk eingebunden wird, übernimmt eine bestimmte Rolle im
Netzwerk und wird zu dem, was die ANT eine „Black Box“ nennt, das heißt er übernimmt eine fixierte
Funktion im Ganzen. Je mehr Akteure in ein Netzwerk eingebunden werden können, desto stärker wird das
Netzwerk.
Im Kontext von Bildung bedeutet dies: Lernende können nicht als Individuen betrachtet werden, die ent-
weder mittels Lerntechnologien oder bewusst ohne solche in institutionalisierte und formalisierte Lernpro-
zesse integriert werden müssen, Lernende sind vielmehr immer schon in größeren oder kleineren Netzwer-
ken eingebunden, die bereits aus vielen verschiedenen Akteuren wie Büchern, Schulhäusern, Lehrpersonen,
Eltern, Mitschülerinnen und Mitschülern, Smartphones, Lehrplänen, Bibliotheken, Medien, bildungspoliti-
schen Instanzen, Reglementen, Wandtafeln, Computern und Budgets bestehen. Es gäbe keine Schülerinnen
und Schüler und kein Bildungssystem, wäre da nicht bereits ein Netzwerk aus verschiedenen heterogenen
Akteuren. Alle diese Akteure haben einen Einfluss auf die Lernprozesse, ob fördernd oder hemmend. Das
Lernen ist also, durchaus im Sinne des Konnektivismus, etwas, das dem Netzwerk zugeschrieben werden
soll und nicht einem Individuum.
Aus der Perspektive der Akteur-Netzwerk-Theorie besteht die Aufgabe von Bildung also nicht darin,
einzelnen Personen Wissen und Kompetenzen zu vermitteln und diese zu zertifizieren, sondern vor allem
darin, diese kleinen und großen Netzwerke optimal miteinander zu verbinden. Lehren und Lernen sind For-
men von Akteur-Netzwerken und Bildung, könnte man sagen, ist Netzwerkarbeit.
Kommunikationsprozesse, die entweder zum Erfolg oder Scheitern dieser Netzwerkarbeit führen, wer-
den von der ANT detailliert analysiert und beschrieben. Die ANT geht dabei empirisch vor und legt großes
Gewicht auf die vorurteilslose Beschreibung reeller Kommunikationsabläufe der verschiedenen Akteure.
Kommunikation wird dabei als Handlung betrachtet, die etwas bewirkt. Akteure handeln durch Beeinflus-
sung, Suggestion, Disposition und Forderungen, die von ihnen ausgehen. Ein Beispiel: Printmedien erfor-
dern helle Umgebungen, digitale Medien hingegen zwingen Schulen dazu, Dimmer, Vorhänge oder Son-
nenstoren in den Schulzimmern einzubauen. Printmedien erzwingen, dass Interaktionen, Feedback, die Be-
antwortung von Fragen und so weiter durch face-to-face Kommunikation ablaufen, wogegen digitale Medi-
en Interaktion von den Einschränkungen durch Raum und Zeit befreien. Der einfache Zugang zu den fast
unendlichen Informationsressourcen des Internets durch mobile Geräte zum Beispiel bewirkt, dass die tra-
ditionelle Rollenverteilung zwischen Lehrperson und Lernenden sich verändert. Die Lehrperson kann nicht
mehr als alleinige Autorität in Bezug auf Information und Wissen auftreten. Es gibt viele Beispiele dieser
Art, die zeigen, wie sehr Mensch und Technik – quasi symbiotisch – verbunden sind. Es wäre aus Sicht der
ANT grundsätzlich falsch, nur auf einen individuellen Akteur in einem komplexen sozio-technischen Netz-
werk zu schauen und zu versuchen, das Lernen alleine vom Verhalten dieses Akteurs her zu verstehen oder
zu bestimmen. Es ist immer das Netzwerk als Ganzes, das zugleich lehrt und lernt. Lernprozesse sind Netz-
werkprozesse. Um nicht der Versuchung zu verfallen, entweder den Menschen oder die Technik in den Vor-
dergrund zu stellen, sondern immer die komplexe Interaktion und die Interdependenzen zwischen beiden
im Blick zu haben, folgt die ANT dem Prinzip der „methodischen Symmetrie“ in der Beschreibung von
menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren. Es spielt also keine Rolle, ob Menschen, Medien, Maschi-
nen oder sonstige Artefakte die Beziehungen und das Verhalten der Akteure in einem Netzwerk zu beein-
flussen versuchen. Das Endresultat ist immer eine hybride und heterogene Assoziation verschiedener Ak-
teure.
Akteur-Netzwerke sind also Formen des Zusammenschlusses von Menschen, Technologien, Organisa-
tionen, Regeln, Infrastrukturen und vielem mehr, mit dem Ziel, relativ stabile Gefüge von Wissen, Kommu-
nikation und Handeln ins Leben zu rufen. Ein Beispiel, wie die Interaktion von Menschen mit digitalen
Medien das Verhalten und die Einstellungen von Menschen bestimmen kann, zeigt sich am Phänomen
Web 2.0. Während traditionelle Methoden und organisationale Strukturen in Wirtschaft, Wissenschaft und
Bildung oft nicht in der Lage sind, eine Kultur des Vertrauens, der Offenheit und der Zuverlässigkeit im
Austausch und der Nutzung von Wissen zu schaffen, wirken Web-2.0-Technologien ganz anders. Auf Basis
dieser Technologien entstehen, jenseits formeller Informationssysteme, Communities und Wissensnetzwer-
ke, in denen Freiheit im Umgang mit Information, Individualisierung in der Gestaltung von Wissen, Über-
prüfbarkeit und Integrität als anerkannte Verpflichtungen, Flexibilität bei Problemlösungen, multiple Identi-
täten und gleichzeitiges Verfolgen diverser Zielsetzungen sowie Geschwindigkeit bei Entscheidungen und
Innovationsoffenheit prägende Merkmale sind.
L3T
Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Title
- L3T
- Subtitle
- Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Editor
- Martin Ebner
- Sandra Schön
- Publisher
- epubli GmbH
- Location
- Berlin
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 3.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 594
- Keywords
- L3T, online
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- Einleitung 1
- Einführung 11
- Von der Kreidetafel zum Tablet 27
- Die Geschichte des WWW 39
- Hypertext 51
- Geschichte des Fernunterrichts 65
- Informationssysteme 75
- Webtechnologien 89
- Multimediale und interaktive Materialien 99
- Standards für Lehr- und Lerntechnologien 109
- Human-Computer-Interaction 117
- Didaktisches Handeln 127
- Medienpädagogik 139
- Systeme im Einsatz 147
- Kommunikation und Moderation 157
- Forschungszugänge und -methoden 167
- Planung und Organisation 177
- Literatur und Information 185
- Die „Netzgeneration“ 201
- Multimedia und Gedächtnis 209
- Mobiles und ubiquitäres Lernen 217
- Prüfen mit Computer und Internet 227
- Blogging und Microblogging 239
- Vom Online-Skriptum zum E-Book 249
- Educasting 257
- Game-Based Learning 267
- Einsatz kollaborativer Werkzeuge 277
- Offene und partizipative Lernkonzepte 287
- Qualitätssicherung im E-Learning 301
- Offene Lehr- und Forschungsressourcen 311
- Lernen mit Videokonferenzen 319
- Simulationen und simulierte Welten 327
- Barrierefreiheit 343
- Genderforschung 355
- Zukunftsforschung 363
- Kognitionswissenschaft 373
- Diversität und Spaltung 387
- Lern-Service-Engineering 397
- Medientheorien 405
- Das Gesammelte interpretieren 413
- Wissensmanagement 421
- Sieht gut aus 427
- Urheberrecht & Co. in der Hochschullehre 435
- Interessen und Kompetenzen fördern 445
- Spielend Lernen im Kindergarten 455
- Technologieeinsatz in der Schule 465
- Technologie in der Hochschullehre 475
- Fernstudium an Hochschulen 483
- Webbasiertes Lernen in Unternehmen 489
- E-Learning in Organisationen 497
- Erwachsenen- und Weiterbildung 507
- Freie Online-Angebote für Selbstlernende 515
- Sozialarbeit 525
- Human- und Tiermedizin 531
- Online-Labore 539
- Mehr als eine Rechenmaschine 547
- Bildungstechnologien im Sport 557
- Fremdsprachen im Schulunterricht 569