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Der erste Erfolg der Künstlichen Neuronalen Netze war zunächst, ein biologisch plausibles Modell dafür zu
liefern, wie Symbole und Regeln gelernt werden können. In gewisser Weise setzen sie eine Ebene tiefer an
als der symbolverarbeitende Ansatz: Sie bieten eine Alternative auf der subsymbolischen Ebene an (Smo-
lensky, 1998). Konsequenz war aber ein neues Bild von Repräsentation und Eigenschaften kognitiver Sys-
teme.
Damit erlauben die KNN eine fundamental andere Sichtweise auf Wissen (Peschl 1994; 1997). Zu-
nächst ist klar: Das „Wissen im Kopf“ muss strukturell keineswegs identisch mit den in Symbolen und Re-
geln beschriebenen Strukturen der Welt sein. Nicht die korrekte Abbildung der Welt ist relevant, sondern
das adäquate Ergebnis, also gewissermaßen die Handlung, die in die Struktur der Umwelt passen muss. Als
eine Konsequenz der Aufgabe des Konzeptes der Abbildung sind die Inhalte der Repräsentation, im Gegen-
satz zu klassischen symbolverarbeitenden Systemen, nicht mehr unmittelbar verständlich; vielmehr bedarf
es aufwändiger statistischer Verfahren, um herauszufinden, was so ein Netz eigentlich gelernt hat.
Eine weitere interessante Konsequenz der verteilten Repräsentation ist, dass, im Gegensatz zum klassi-
schen Ansatz, keine Trennung zwischen Inhalt und Substrat besteht: das Netz ist sein Wissen und dieses
Wissen ist in der Architektur verkörpert, zumindest potentiell, denn zumeist handelt es sich bei KNN ja um
Computersimulationen (zum Beispiel Clark 1999, 2001). Damit gibt es auch keine leicht voneinander
trennbaren Wissensobjekte mehr, vielmehr werden alle dem neuronalen Netzwerk präsentierten Stimuli
(zum Beispiel Bilder) von allen Neuronen und allen Gewichten repräsentiert. Die Repräsentation das KNN
kann man als einen Raum verstehen, in dem Inputs kategorisiert und dadurch in eine Beziehung (in diesen
einfachen Modellen ist es Ähnlichkeit) gesetzt werden.
Die Analogien zu Bildungskontexten, insbesondere Frontalsituationen liegen auf der Hand: Die Input-
Output-Relation ist dadurch bestimmt, dass Lernende durch Vortrag, Durcharbeiten eines Lernpfades, etc.
einen Stoff präsentiert bekommen und in einer Prüfungssituation den gewünschten Output zu liefern haben.
Doch Lernen ist kein Kopiervorgang von Wissensobjekten.Was gelehrt wird, muss noch lange nicht das
sein, was gelernt wird. Nachdem Lernen in unserem Bildungssystem häufig outputgetrieben ist („Was muss
ich tun, um eine gute Note zu bekommen?“), liegt es daher nahe, Prüfungen so anzulegen, dass nicht iso-
lierte Fakten abgefragt werden, sondern ein Verständnis der Kategorien und Bezüge des gesamten „Wis-
sensraumes“ gefordert ist und eine Deep-Learning-Strategie auf Seiten der Lernenden notwendig wird.
Rückwirkend kann der Konnektionismus, der zu seiner Zeit eine Revolution war, als Bindeglied und Über-
gangsphase zwischen zwei Paradigmen gesehen werden. Was als „Nebenwirkung“ des Konnektionismus
begann, rückte schließlich ins Zentrum des Interesses: Während die klassische Kognitionswissenschaft ver-
sucht hatte, die Welt möglichst genau in formalisierten Strukturen abzubilden, rückte durch den Konnektio-
nismus die Frage in den Mittelpunkt, wie KNN-Architektur und -Prozesse mit der Struktur und Dynamik
der Umwelt (Stimuli) zweckmäßig und dem jeweiligen System angemessen interagieren. Damit war der
Weg frei, die zentrale implizite Annahme der klassischen Kognitionswissenschaft in Frage zu stellen: Wie
biologisch plausibel ist überhaupt die stillschweigende Annahme, dass Kognition vor allem dafür da ist,
abstrakte Symbole und Regeln zu verarbeiten?
Der Fokus auf die Interaktion eines verkörperten kognitiven Systems, also eines kognitiven Systems
dessen physische Beschaffenheit eine zentrale Rolle für seine Repräsentationsfunktionen spielt, mit seiner
physischen Umwelt, erlaubte eine neue, biologischere Sichtweise: Die Aufgabe von Kognition ist es, einem
Organismus sinnvolles, das heißt überlebensförderliches Handeln in Raum und Zeit zu ermöglichen. Im Pa-
radigma der Embodied Cognition wurde die Koppelung von Kognition, Körper und Welt daher zum zentra-
len Thema. Damit änderten sich auch die Modelle und die Perspektive auf Wissen(-srepräsentation). Sie
kommen nun vielfach aus dem Bereich der Robotik.
Anforderung an ein kognitives System war nun nicht länger, über möglichst viel und präzises Weltwis-
sen zu verfügen, um in seiner Umwelt funktionieren zu können, es ging vielmehr darum, zeitgerecht mit
Veränderungen der Umwelt adäquat umzugehen, (pro-)aktiv und intentional zu handeln. Schon 1986 postu-
lierte Rodney Brooks, man brauche keine Repräsentation und schlug eine Roboterarchitektur vor, die ro-
bustes und gleichzeitig flexibles Verhalten hervorbrachte, die sogenannte Subsumption Architecture
(Brooks, 1991).
L3T
Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Title
- L3T
- Subtitle
- Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Editor
- Martin Ebner
- Sandra Schön
- Publisher
- epubli GmbH
- Location
- Berlin
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 3.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 594
- Keywords
- L3T, online
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- Einleitung 1
- Einführung 11
- Von der Kreidetafel zum Tablet 27
- Die Geschichte des WWW 39
- Hypertext 51
- Geschichte des Fernunterrichts 65
- Informationssysteme 75
- Webtechnologien 89
- Multimediale und interaktive Materialien 99
- Standards für Lehr- und Lerntechnologien 109
- Human-Computer-Interaction 117
- Didaktisches Handeln 127
- Medienpädagogik 139
- Systeme im Einsatz 147
- Kommunikation und Moderation 157
- Forschungszugänge und -methoden 167
- Planung und Organisation 177
- Literatur und Information 185
- Die „Netzgeneration“ 201
- Multimedia und Gedächtnis 209
- Mobiles und ubiquitäres Lernen 217
- Prüfen mit Computer und Internet 227
- Blogging und Microblogging 239
- Vom Online-Skriptum zum E-Book 249
- Educasting 257
- Game-Based Learning 267
- Einsatz kollaborativer Werkzeuge 277
- Offene und partizipative Lernkonzepte 287
- Qualitätssicherung im E-Learning 301
- Offene Lehr- und Forschungsressourcen 311
- Lernen mit Videokonferenzen 319
- Simulationen und simulierte Welten 327
- Barrierefreiheit 343
- Genderforschung 355
- Zukunftsforschung 363
- Kognitionswissenschaft 373
- Diversität und Spaltung 387
- Lern-Service-Engineering 397
- Medientheorien 405
- Das Gesammelte interpretieren 413
- Wissensmanagement 421
- Sieht gut aus 427
- Urheberrecht & Co. in der Hochschullehre 435
- Interessen und Kompetenzen fördern 445
- Spielend Lernen im Kindergarten 455
- Technologieeinsatz in der Schule 465
- Technologie in der Hochschullehre 475
- Fernstudium an Hochschulen 483
- Webbasiertes Lernen in Unternehmen 489
- E-Learning in Organisationen 497
- Erwachsenen- und Weiterbildung 507
- Freie Online-Angebote für Selbstlernende 515
- Sozialarbeit 525
- Human- und Tiermedizin 531
- Online-Labore 539
- Mehr als eine Rechenmaschine 547
- Bildungstechnologien im Sport 557
- Fremdsprachen im Schulunterricht 569