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Wie gut verstehen wir dieses „MassenIndividualMedium“? In der ersten Ausgabe des Magazins „New
Media & Society“ stellt Herausgeber Roger Silverstone 1999 die Frage, was denn eigentlich das Neue an
den neuen Medien sei: „To ask the question‚ What’s new about new media?’ is, of course, to ask a question
about the relationship between continuity and change; a question that requires an investigation into the
complexities of innovation as both a technological and a social process […] Do new media create new mea-
nings? Do they enable or disable social and cultural change? How are we to disentangle the various compo-
nents of media and technology change as they affect, or are presumed to affect, organizations, the political
process, global commerce, everyday life? What is this space called cyber?“ (Silverstone, 1999, 10-11).
Technische Innovation und soziale Praxis wirken zusammen und geben gemeinsam digitalen Netzmedi-
en eine Gestalt – auch aus diesem Grund sind die von Silverstone aufgeworfenen Fragen keineswegs als
gelöst zu betrachten, sondern begegnen uns in neuem Gewand immer wieder, aktuell in der Diskussion um
Web 2.0. Diese Ko-Evolution von Anwendung und Herstellung wird in der Forschung zur Technikgenese
(engl. „social construction of technology“ auch „social informatics“) untersucht. Demzufolge ist die Imple-
mentierung neuer Technologien das Ergebnis von Verhandlungsprozessen und Handlungen verschiedener
sozialer Akteurinnen und Akteure mit individuellen Zielstellungen, Interessen und unterschiedlichen infra-
strukturellen und kulturellen Hintergründen. Der virtuelle Raum transzendiert nicht den realen Raum, son-
dern drückt eine soziale und gesellschaftliche Realität aus. Der Medienforscher Rob Kling hat in den
1990er Jahren begonnen, aus soziologischer Perspektive digitale Informations- und Kommunikationstech-
nologien in Organisationen zu untersuchen und dabei ein so genanntes „Web-Modell“ entwickelt. Soziale
Rollen, vorhandene Infrastrukturen und zeitliche Verläufe wirken zusammen, wenn sich ein neues Kommu-
nikationsmedium durchsetzt – oder wieder verschwindet (Kling, 1991).
Technische Errungenschaften sind nicht nur „Möglichkeitsmaschinen“ (Großklaus, 1997), sondern zie-
hen auch Einschränkungen nach sich. Walter Benjamins Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner tech-
nischen Reproduzierbarkeit“ aus dem Jahr 1939 reflektiert die umwälzenden Wirkungen des Films und an-
derer technischer Medien auf die Kunst und zieht Rückschlüsse auf deren Stellung und Funktion innerhalb
der Gesellschaft. Die Möglichkeit der massenhaften Reproduktion führt zum Verlust der „Aura“ eines
Kunstwerks.
„Noch bei der höchstvollendeten Reproduktion fällt eines aus: das Hier und Jetzt des Kunstwerks – sein
einmaliges Dasein an dem Orte, an dem es sich befindet. […] Das Hier und Jetzt des Originals macht den
Begriff seiner Echtheit aus. […] Während das Echte aber der manuellen Reproduktion gegenüber, die von
ihm im Regelfalle als Fälschung abgestempelt wurde, seine volle Autorität bewahrt, ist das der technischen
Reproduktion gegenüber nicht der Fall. […] Die Kathedrale verlässt ihren Platz, um in dem Studio eines
Kunstfreundes Aufnahme zu finden; das Chorwerk, das in einem Saal oder unter freiem Himmel exekutiert
wurde, lässt sich in einem Zimmer vernehmen“(Benjamin, 1939, 4).
Benjamins ästhetische Überlegungen – einer theoretischen Linse gleich – ermöglichen uns die Effekte
der Digitaltechnologie in Hinblick auf die Erlebnisqualität in medial vermittelten Lernsituationen zu be-
trachten. So geht beispielsweise bei der Aufzeichnung von Lehrveranstaltungen das Ursprüngliche eines
Vortrags in Teilen verloren. Das erklärt, warum Studierende trotzdem noch in den Hörsaal gehen, wenn al-
les im Netz verfügbar ist. Und was passiert, wenn die Kopie vom Original nicht mehr unterscheidbar ist?
Worin besteht die Aura eines Hypertextes oder eines PDF-Dokuments? Über den Schutz von Urheberrech-
ten hinausgehend gibt es einen Bedarf solche Fragen konstruktiv zu erörtern.
Unsere oftmals impliziten Vorstellungen von digitalen Medien beeinflussen Interaktionsformen und Gestal-
tungsspielräume. Auf der Schnittstelle von Literaturwissenschaft und Informatik sind zahlreiche Arbeiten
entstanden, die sich mit der Ästhetik digitaler Medien, Narration im Netz und „Human Computer Interac-
tion“ befassen. Beispiele sind die Arbeiten von Brenda Laurel, Aspen Aarseth, Janet Murray und George
Landow.
L3T
Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Title
- L3T
- Subtitle
- Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Editor
- Martin Ebner
- Sandra Schön
- Publisher
- epubli GmbH
- Location
- Berlin
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 3.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 594
- Keywords
- L3T, online
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- Einleitung 1
- Einführung 11
- Von der Kreidetafel zum Tablet 27
- Die Geschichte des WWW 39
- Hypertext 51
- Geschichte des Fernunterrichts 65
- Informationssysteme 75
- Webtechnologien 89
- Multimediale und interaktive Materialien 99
- Standards für Lehr- und Lerntechnologien 109
- Human-Computer-Interaction 117
- Didaktisches Handeln 127
- Medienpädagogik 139
- Systeme im Einsatz 147
- Kommunikation und Moderation 157
- Forschungszugänge und -methoden 167
- Planung und Organisation 177
- Literatur und Information 185
- Die „Netzgeneration“ 201
- Multimedia und Gedächtnis 209
- Mobiles und ubiquitäres Lernen 217
- Prüfen mit Computer und Internet 227
- Blogging und Microblogging 239
- Vom Online-Skriptum zum E-Book 249
- Educasting 257
- Game-Based Learning 267
- Einsatz kollaborativer Werkzeuge 277
- Offene und partizipative Lernkonzepte 287
- Qualitätssicherung im E-Learning 301
- Offene Lehr- und Forschungsressourcen 311
- Lernen mit Videokonferenzen 319
- Simulationen und simulierte Welten 327
- Barrierefreiheit 343
- Genderforschung 355
- Zukunftsforschung 363
- Kognitionswissenschaft 373
- Diversität und Spaltung 387
- Lern-Service-Engineering 397
- Medientheorien 405
- Das Gesammelte interpretieren 413
- Wissensmanagement 421
- Sieht gut aus 427
- Urheberrecht & Co. in der Hochschullehre 435
- Interessen und Kompetenzen fördern 445
- Spielend Lernen im Kindergarten 455
- Technologieeinsatz in der Schule 465
- Technologie in der Hochschullehre 475
- Fernstudium an Hochschulen 483
- Webbasiertes Lernen in Unternehmen 489
- E-Learning in Organisationen 497
- Erwachsenen- und Weiterbildung 507
- Freie Online-Angebote für Selbstlernende 515
- Sozialarbeit 525
- Human- und Tiermedizin 531
- Online-Labore 539
- Mehr als eine Rechenmaschine 547
- Bildungstechnologien im Sport 557
- Fremdsprachen im Schulunterricht 569