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Diesen Aspekt betont auch der Medientheoretiker Aspen Aarseth. In „Cybertext. Perspectives on Ergodic
Literature“ beschreibt er „ergodische“ Texträume, die nur durch Aufwand der Benutzerinnen und Benutzer
durchquert werden können (Aarseth, 1997).
Dieses Kapitel hat einen breiten Bogen über das facettenreiche Feld der Medientheorien gespannt – vom
Dekonstruktivismus Jaques Derridas über soziotechnische Forschungsansätze bis hin zu medienästheti-
schen Vorstellungen. Welche zentralen Ergebnisse lassen sich abschließend festhalten? Zunächst ist da die
Erkenntnis, dass implizite Vorstellungen vom Wesen der Medien unsere instruktionalen Gestaltungsent-
scheidungen stets begleiten. Wenn wir diese alltagstheoretischen Überzeugungen auf den Prüfstand setzen,
gewinnen wir Distanz, um in der technologisch diktierten Entwicklungslandschaft den Überblick zu behal-
ten. Wer medientheoretisch reflektiert an das didaktische Design von medienbasierten Lernumgebungen
herangeht, kann das Potenzial digitaler Medien besser ausschöpfen und Potenziale, Nutzen, Chancen und
Risiken für Lehre und Unterricht realistisch einschätzen.
Das beginnt mit einer Positionierung hinsichtlich des Medienbegriffs. Medienbegriff und medientheore-
tische Reflexionsebene sind eng miteinander verwoben. So operationalisieren Semiotik und Informations-
wissenschaft Medien als Zeichenvorrat, während Kommunikationswissenschaftler Medien als technische
Kanäle begreifen. Ästhetik, Literatur- und Kulturwissenschaften produzieren in aller Regel Einzelmedien-
theorien. Wenn wir im Bildungskontext von „Medien“ sprechen, meinen wir in der Regel „technische Me-
dien“, wie zum Beispiel Film und Computer, die eine eigenständige Medienwirklichkeit erzeugen. Im Ge-
gensatz dazu steht ein universeller Medienbegriff, der in kulturwissenschaftlichen Mediendiskursen eben-
falls verbreitet ist. Ein Beispiel ist Marshall McLuhans Vorstellung von Medien als Erweiterungen des
Menschen.
Den eigenen Medienbegriff zu reflektieren ist hilfreich, um angesichts des interdisziplinären Charakters
der Forschung zu medienbasiertem Lehren und Lernen einen analytischen Orientierungspunkt zu gewin-
nen. Eng damit zusammen hängt eine geschichtliche Einbettung medienbezogener Debatten. Medienum-
brüche in Spätmittelalter und früher Neuzeit sind nicht nur als ferner Spiegel unserer Gegenwart von Inter-
esse. Es handelt sich um eine Epoche, die als Versuchslabor zum Verhältnis alter und neuer Medien be-
trachtet werden kann (Burkhardt & Werkstetter, 2005). Medienhistorisches Hintergrundwissen erlaubt, die
Gestaltungsspielräume neuer Lehr- und Lernmedien konstruktiv zu nutzen, anstatt sie technikfeindlich zu
ignorieren oder technikgläubig zu verspielen.
Wer über Medien debattiert, sollte ein Auge für geeignete Metaphern entwickeln und gleichzeitig in der
Lage sein, Metaphern und Bilder zu dekonstruieren und für Brüche und Widersprüche in der Medienwahr-
nehmung offen zu bleiben. Medientheoretische Ansätze können Impulse für die konkrete Gestaltung geben.
Laurels Bild des „Computers als Bühne“ bildet aus anwendungsbezogener Sicht einen nachvollziehbaren
Ansatz für die Interfacegestaltung. Statt die Prozeduren des Rechners „aufzuführen“, sollten Nutzerinnen
und Nutzer die Handlung verstehen können. In diesem Zusammenhang kommt Janet Murrays Bild des
Computers als unendlicher Enzyklopädie in den Sinn – eine Eigenschaft, die der didaktischen Reduktion in
Lernumgebungen nicht immer zuträglich ist.
Aus medientheoretischen Erkenntnissen ergeben sich praktische Konsequenzen, die für die Entwicklung
von Lernumgebungen gelten. Statt sich selbstverständlich an durch Printmedien tradierten Organisations-
prinzipien wie Seiten, Fußnoten, Anmerkungen und Kapitel zu orientieren, lohnt es sich einen offenen
Blick für Gestaltungsmöglichkeiten zu entwickeln (Switalla, 2001). Neben der Immersion sollte das Au-
genmerk dabei vor allem auf dem Bereich Agency liegen – die Lernenden sollen das Geschehen aktiv be-
einflussen können. Allerdings ist keine Lernumgebung per se eine konstruktivistische Wunderwaffe. Hier
gilt es Medium und Medialität zu unterscheiden: Es kommt weniger auf die Eigenschaften des Artefakts an,
sondern mehr auf die Instrumentalisierung durch die Lernenden. Statt die Potentiale digitaler Lernumge-
bungen pauschal zu beurteilen, wird es Zeit, das Medienhandeln ins Zentrum zu setzen.
L3T
Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Title
- L3T
- Subtitle
- Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Editor
- Martin Ebner
- Sandra Schön
- Publisher
- epubli GmbH
- Location
- Berlin
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 3.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 594
- Keywords
- L3T, online
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- Einleitung 1
- Einführung 11
- Von der Kreidetafel zum Tablet 27
- Die Geschichte des WWW 39
- Hypertext 51
- Geschichte des Fernunterrichts 65
- Informationssysteme 75
- Webtechnologien 89
- Multimediale und interaktive Materialien 99
- Standards für Lehr- und Lerntechnologien 109
- Human-Computer-Interaction 117
- Didaktisches Handeln 127
- Medienpädagogik 139
- Systeme im Einsatz 147
- Kommunikation und Moderation 157
- Forschungszugänge und -methoden 167
- Planung und Organisation 177
- Literatur und Information 185
- Die „Netzgeneration“ 201
- Multimedia und Gedächtnis 209
- Mobiles und ubiquitäres Lernen 217
- Prüfen mit Computer und Internet 227
- Blogging und Microblogging 239
- Vom Online-Skriptum zum E-Book 249
- Educasting 257
- Game-Based Learning 267
- Einsatz kollaborativer Werkzeuge 277
- Offene und partizipative Lernkonzepte 287
- Qualitätssicherung im E-Learning 301
- Offene Lehr- und Forschungsressourcen 311
- Lernen mit Videokonferenzen 319
- Simulationen und simulierte Welten 327
- Barrierefreiheit 343
- Genderforschung 355
- Zukunftsforschung 363
- Kognitionswissenschaft 373
- Diversität und Spaltung 387
- Lern-Service-Engineering 397
- Medientheorien 405
- Das Gesammelte interpretieren 413
- Wissensmanagement 421
- Sieht gut aus 427
- Urheberrecht & Co. in der Hochschullehre 435
- Interessen und Kompetenzen fördern 445
- Spielend Lernen im Kindergarten 455
- Technologieeinsatz in der Schule 465
- Technologie in der Hochschullehre 475
- Fernstudium an Hochschulen 483
- Webbasiertes Lernen in Unternehmen 489
- E-Learning in Organisationen 497
- Erwachsenen- und Weiterbildung 507
- Freie Online-Angebote für Selbstlernende 515
- Sozialarbeit 525
- Human- und Tiermedizin 531
- Online-Labore 539
- Mehr als eine Rechenmaschine 547
- Bildungstechnologien im Sport 557
- Fremdsprachen im Schulunterricht 569