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Es gibt zahlreiche Lernsoftware, die insbesondere für den Nachmittagsmarkt produziert wird. So können
Lernende mit entsprechenden Produkten arithmetische Übungen durchführen (zum Beispiel das Rechnen
im Zahlenraum bis 100 oder Bruch rechnen). Das Spektrum reicht dabei von einfacher Übungssoftware bis
hin zu Edutainment-Produkten, die in motivierenden Lernumgebungen anregende Problemlöseaufgaben be-
reithalten.
Computerunterstütztes Lernen im mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht birgt die Gefahr, dass
bei einseitigem Einsatz die Anbindung an das ‚originale Objekt‘ zurückgedrängt wird. Insbesondere im Zu-
sammenhang mit Fragen zur belebten und unbelebten Natur (zum Beispiel Umweltbildung und Ökologie)
ist darauf zu achten, dass die Unterstützung des Erkenntnisprozesses durch die Möglichkeit des eigenstän-
digen, sinnlichen Erlebens bereichert wird. Es ist mit der computergestützten Abbildung (zumindest nach
dem heutigen Stand der Technik) durch die Reduktion auf die sinnliche Wahrnehmung von Sehen und Hö-
ren ein Informationsverlust verbunden. So lassen sich beispielsweise weder der Geruch einer Pflanze noch
das Erfühlen einer Schlangenhaut abbilden. Multimedia kann in diesen Fällen ergänzen und unterstützen,
aber nicht ersetzen.
Die vielfältigen Möglichkeiten digitaler Unterrichtsmittel führen bisweilen zu einem ‚multimedialen
Overload‘ für minimale Inhalte, die auf andere Weise deutlich effizienter vermittelt werden könnten. In die-
sem Fall führt nicht der eigentliche Lerninhalt, sondern seine Vermittlung zur kognitiven Belastung – bild-
lich gesprochen wird der Verpackung mehr Aufmerksamkeit geschenkt als dem Inhalt. Da aber die kogniti-
ve Belastungsfähigkeit zwar je nach Individuum unterschiedlich stark ausgeprägt, aber grundsätzlich be-
schränkt ist, kann so die Gefahr auftreten, dass für den eigentlichen Lerninhalt keine kognitiven Kapazitä-
ten mehr zur Verfügung stehen. Der Gebrauch mächtiger technologischer Werkzeuge darf nicht zum Selbst-
läufer werden. Je weitreichender die technologischen Möglichkeiten sind, umso mehr Zeit muss die Lehr-
kraft für das Erlernen der entsprechenden Werkzeuge einplanen.
Bei technologiegestützten Simulationen besteht mitunter die Gefahr, dass der inhaltliche Hintergrund
den Lernenden verborgen bleibt, wenn diese davor oder danach nicht die Gelegenheit haben zu erforschen,
was genau der Computer in großer Geschwindigkeit und vollautomatisiert erledigt. Wenn beispielsweise
die
Lernenden die Grundstruktur eines technologiegestützten Zufallsexperiments, zum Beispiel für die Ermitt-
lung der Gewinnchancen bei einem Glücksspiel, inhaltlich nicht erfasst haben, werden sie die Ergebnisse
einer entsprechenden computergestützten Simulation mit einer sehr großen Zahl von Durchläufen nicht in-
terpretieren können. Der Computer wird dann zur ‚black box‘, deren Ergebnisse man zwar vertraut, die
aber nach unbekannten Gesetzmäßigkeiten arbeitet. Es gilt jedoch die ‚Hoheit‘ über den Lernstoff den Ler-
nenden zu übergeben, nicht dem Computer.
Stehen computergestützte Visualisierungen jederzeit zur Verfügung, erübrigt sich für die Lernenden die
eigene Generierung entsprechender mentaler Vorstellungen, sie verbleiben in der Rolle der passiven Zu-
schauer/innen. Auf diesem Hintergrund begründet sich das oben genannte ‚fading out‘, bei dem die externe
Hilfe mit entsprechend aktivierenden Aufgaben zunehmend zurückgenommen wird, um die Lernenden zur
eigenen mentalen Modellbildung anzuregen. Zudem müssen Visualisierungen wohl überlegt sein: Ungüns-
tige computergestützte Darstellungen, die sich ausschließlich an inhaltlichen Gesichtspunkten, aber nicht an
Sehgewohnheiten der alltäglichen Wahrnehmung richten, können bei Lernenden mit wenig Vorwissen be-
ziehungsweise geringerem Abstraktionsvermögen zu unangemessenen Vorstellungen führen, die sehr stabil
sind und sich hartnäckig halten können (zum Beispiel ‚graph-as-picture misconception‘; Clement, 1989).
Im Bereich der Informationsrecherche und -aufbereitung besteht im schulischen Kontext immer die Ge-
fahr, dass sich vor allem Lernende mit geringer Netzerfahrung im Internet verirren. Mit Hilfe von
Web-Quests (Bescherer, 2007) oder Videoclip-Quests (Blessing & Kortenkamp, 2008) kann eine Lehrkraft
die Pfade durch das Web vorstrukturieren und den Lernprozess durch geeignete Aufgabenstellungen unter
Nutzung von Open-Source-Quellen stützen. Diese Möglichkeit der Unterstützung hilft auch der Gefahr zu
begegnen, dass die Lernenden zwar im Netz Informationen sammeln, diese aber für die unterrichtliche Auf-
bereitung unverstanden aneinanderreihen, ohne den inneren Zusammenhang der zugrundeliegenden The-
matik zu durchdringen. Gerade bei leistungsschwächeren Lernenden ist diese Gefahr zu sehen, da die Infor-
mationsvielfalt ihre kognitive Kapazität erwartungsgemäß schneller übersteigt.
L3T
Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Title
- L3T
- Subtitle
- Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Editor
- Martin Ebner
- Sandra Schön
- Publisher
- epubli GmbH
- Location
- Berlin
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 3.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 594
- Keywords
- L3T, online
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- Einleitung 1
- Einführung 11
- Von der Kreidetafel zum Tablet 27
- Die Geschichte des WWW 39
- Hypertext 51
- Geschichte des Fernunterrichts 65
- Informationssysteme 75
- Webtechnologien 89
- Multimediale und interaktive Materialien 99
- Standards für Lehr- und Lerntechnologien 109
- Human-Computer-Interaction 117
- Didaktisches Handeln 127
- Medienpädagogik 139
- Systeme im Einsatz 147
- Kommunikation und Moderation 157
- Forschungszugänge und -methoden 167
- Planung und Organisation 177
- Literatur und Information 185
- Die „Netzgeneration“ 201
- Multimedia und Gedächtnis 209
- Mobiles und ubiquitäres Lernen 217
- Prüfen mit Computer und Internet 227
- Blogging und Microblogging 239
- Vom Online-Skriptum zum E-Book 249
- Educasting 257
- Game-Based Learning 267
- Einsatz kollaborativer Werkzeuge 277
- Offene und partizipative Lernkonzepte 287
- Qualitätssicherung im E-Learning 301
- Offene Lehr- und Forschungsressourcen 311
- Lernen mit Videokonferenzen 319
- Simulationen und simulierte Welten 327
- Barrierefreiheit 343
- Genderforschung 355
- Zukunftsforschung 363
- Kognitionswissenschaft 373
- Diversität und Spaltung 387
- Lern-Service-Engineering 397
- Medientheorien 405
- Das Gesammelte interpretieren 413
- Wissensmanagement 421
- Sieht gut aus 427
- Urheberrecht & Co. in der Hochschullehre 435
- Interessen und Kompetenzen fördern 445
- Spielend Lernen im Kindergarten 455
- Technologieeinsatz in der Schule 465
- Technologie in der Hochschullehre 475
- Fernstudium an Hochschulen 483
- Webbasiertes Lernen in Unternehmen 489
- E-Learning in Organisationen 497
- Erwachsenen- und Weiterbildung 507
- Freie Online-Angebote für Selbstlernende 515
- Sozialarbeit 525
- Human- und Tiermedizin 531
- Online-Labore 539
- Mehr als eine Rechenmaschine 547
- Bildungstechnologien im Sport 557
- Fremdsprachen im Schulunterricht 569