Page - 558 - in L3T - Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
Image of the Page - 558 -
Text of the Page - 558 -
558
Wenn in einem Handbuch zum Lehren und Lernen mit digitalen Medien einzelnen Disziplinen, wie hier der
Sportwissenschaft, ein eigener Raum eingeräumt wird, dann geschieht dies in der Annahme, dass domain-
spezifische Besonderheiten vorliegen, die einen, wenn schon nicht gänzlich anderen, so doch zumindest in
Teilen sich von anderen Disziplinen unterscheidenden Zugang auf digitale Medien rechtfertigen.
Im Kontext von Bewegung, Spiel und Sport wird dabei häufig auf die Annahme eines Wissenstransfers
verwiesen: Im Zuge des motorischen Lernens wird deklaratives Wissen (Faktenwissen) in prozedurales
Wissen (Handlungswissen) überführt (zum Beispiel Mandl et al., 1986; Oswald & Gadenne, 1984). Ein
weiteres Argument bezieht sich auf den Vermittlungsprozess als eine traditionell kognitiv angegangene Ent-
wicklung des ‚Bewegungswissens‘ von der einfachsten Form der Vermittlung einer ‚Bewegungsvorstel-
lung‘ durch Vormachen bis hin zu medial vermittelten Bewegungseindrücken über Abbildungen, Animatio-
nen oder Videosequenzen. Im Zuge der technologischen Entwicklung werden Eigenaktivitäten jedoch zu-
nehmend medial begleitet beziehungsweise ergänzt, indem im Sinne einer ‚Augmented Reality‘ Zusatzin-
formationen generiert und (meist) visualisiert werden, welche die eigene Bewegung in Echtzeit beispiels-
weise mit externen Kenngrößen (Kraft-Zeit-Verlaufskurven, Geschwindigkeiten, Bewegungsfrequenzen
usw.) in Beziehung setzen.
Als Argumentation für eine domänenspezifische Alleinstellung taugen die genannten Ansätze jedoch
nur eingeschränkt, denn die Kombination von kognitiven und motorischen Anforderungen trifft nicht nur
für Bewegung, Spiel und Sport zu. So bedürfen beispielsweise Chirurginnen und Chirurgen oder Zahnme-
diziner/innen einer elaborierten Auge-Hand-Kombination in Verbindung mit kognitiven Wissensinhalten
und eine erfahrungsgestützte Expertise, ebenso wie Kranführer/innen oder Pilotinnen und Piloten.
Die Besonderheiten des Feldes Bewegung, Spiel und Sport resultieren daher vor allem aus dem Gegen-
stand selbst: Charakteristisch sind...
die Ambivalenz zwischen offener und regelgebundener Zweckfreiheit der Tätigkeit, der Inanspruch-
nahme von Bewegung, Spiel und Sport für erzieherische- und bildungsbezogene Zwecke und
schließlich der Inszenierung und Fokussierung körperlicher Leistungen im Profisport, jeweils auf
ein Individuum oder soziale Gruppen bezogen,
1.
die Varianz der Lernorte und Bewegungsstätten (von der Nutzung normierter Sportstätten über die
Umwidmung öffentlichen Raums als Bewegungsorte bis hin zu hoch situativen Bewegungsumfel-
dern – beispielsweise in den Natursportarten),
2.
die Verortung gleichermaßen in formellen wie informellen Lernprozessen
sowie3.
eine zumindest originär intrinsische
Motivation.4.
Der Einsatz digitaler Medien eröffnet innerhalb dieses weiten Feldes vielfältige Chancen, die sich vor allem
aus der Unterstützung der in der Auseinandersetzung mit der eigenen Bewegung intendierten Interdepen-
denz von Motorik und Kognition ableiten. Auf der anderen Seite können digitale Medien in diesem Feld je-
doch auch zu einer Hürde werden, wenn die individuelle Motivation zur Körperbewegung auf eine mediali-
sierte ‚Entsportung‘ trifft. Vordergründig steht in diesem Sinne im Schulsport der eigene Körper als verge-
genständlichtes Medium der Bewegung den digitalen Technologien als bewegungsarmen Gegenpol gegen-
über, was in Verbindung mit dem Qualitätsmerkmal eines hohen Anteils an Bewegungszeit in der Praxis
durchaus kontrovers diskutiert wird (Kretschmann, 2010b).
Insgesamt überrascht es, wie wenig sich die Sport- und Bewegungswissenschaft (sowohl im deutsch-
sprachigen als auch englischsprachigen Raum) bisher der Thematik des Lehrens und Lernens mit digitalen
Medien im Sport angenommen hat (Igel & Vohle, 2008). Ein Grund dafür mag in der Dominanz von
(schul-)sportpädagogischen Ansätzen liegen, die sportliche Bewegung zum Beispiel für Gesundheitsziele
oder Körpererfahrung in Anspruch nehmen will (Funke-Wieneke, 2007). Dabei scheinen die (digitalen)
Medien, verstanden als ‚Ver-Mittler‘, in einem Widerspruch zu der unmittelbaren Körpererfahrung zu ste-
hen. Vor allem die Potenziale der digitalen Medien zur asynchronen Reflexion oder zum sozialen Lernen
werden hier (noch) nicht gesehen.
Ein weiterer Grund für die Abstinenz könnte darin liegen, dass seit den 70er Jahren des letzten Jahrhun-
derts die digitalen Medien vor allem im Bereich der Technikschulung zum Einsatz gekommen sind; also
primär Visualisierungshilfen (Repräsentation, Simulation) zur Unterstützung des Wissensaufbaus angebo-
ten wurden. Lernen mit digitalen Medien wird hier im Kern als Wissensdistribution mit Content-Dominanz
verstanden (zum Beispiel Baca, 2006; Igel & Daugs, 2005; Mester & Wigger, 2005; Wiemeyer & Hansen,
2010). Erst in neuer Zeit, sicherlich auch mit der Funktionserweiterung des Internets und entsprechender
Software (Stichwort Web 2.0, Kretschmann, 2010b), geraten genuine, didaktische Prozesse in den Blick,
die sich mit digitalen Medien anregen und unterstützen lassen.
L3T
Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Title
- L3T
- Subtitle
- Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien
- Editor
- Martin Ebner
- Sandra Schön
- Publisher
- epubli GmbH
- Location
- Berlin
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 3.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 594
- Keywords
- L3T, online
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- Einleitung 1
- Einführung 11
- Von der Kreidetafel zum Tablet 27
- Die Geschichte des WWW 39
- Hypertext 51
- Geschichte des Fernunterrichts 65
- Informationssysteme 75
- Webtechnologien 89
- Multimediale und interaktive Materialien 99
- Standards für Lehr- und Lerntechnologien 109
- Human-Computer-Interaction 117
- Didaktisches Handeln 127
- Medienpädagogik 139
- Systeme im Einsatz 147
- Kommunikation und Moderation 157
- Forschungszugänge und -methoden 167
- Planung und Organisation 177
- Literatur und Information 185
- Die „Netzgeneration“ 201
- Multimedia und Gedächtnis 209
- Mobiles und ubiquitäres Lernen 217
- Prüfen mit Computer und Internet 227
- Blogging und Microblogging 239
- Vom Online-Skriptum zum E-Book 249
- Educasting 257
- Game-Based Learning 267
- Einsatz kollaborativer Werkzeuge 277
- Offene und partizipative Lernkonzepte 287
- Qualitätssicherung im E-Learning 301
- Offene Lehr- und Forschungsressourcen 311
- Lernen mit Videokonferenzen 319
- Simulationen und simulierte Welten 327
- Barrierefreiheit 343
- Genderforschung 355
- Zukunftsforschung 363
- Kognitionswissenschaft 373
- Diversität und Spaltung 387
- Lern-Service-Engineering 397
- Medientheorien 405
- Das Gesammelte interpretieren 413
- Wissensmanagement 421
- Sieht gut aus 427
- Urheberrecht & Co. in der Hochschullehre 435
- Interessen und Kompetenzen fördern 445
- Spielend Lernen im Kindergarten 455
- Technologieeinsatz in der Schule 465
- Technologie in der Hochschullehre 475
- Fernstudium an Hochschulen 483
- Webbasiertes Lernen in Unternehmen 489
- E-Learning in Organisationen 497
- Erwachsenen- und Weiterbildung 507
- Freie Online-Angebote für Selbstlernende 515
- Sozialarbeit 525
- Human- und Tiermedizin 531
- Online-Labore 539
- Mehr als eine Rechenmaschine 547
- Bildungstechnologien im Sport 557
- Fremdsprachen im Schulunterricht 569