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Die Leiden des jungen Werthers
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FĂŒĂŸen sitzendes Kind mit beiden Armen wider seine Brust, so daß er ihm zu einer Art von Sessel diente und ungeachtet der Munterkeit, womit er aus seinen schwarzen Augen herumschaute, ganz ruhig saß. Mich vergnĂŒgte der Anblick: ich setzte mich auf einen Pflug, der gegenĂŒber stand, und zeichnete die brĂŒderliche Stellung mit vielem Ergetzen. Ich fĂŒgte den nĂ€chsten Zaun, ein Scheunentor und einige gebrochene WagenrĂ€der bei, alles, wie es hinter einander stand, und fand nach Verlauf einer Stunde, daß ich eine wohlgeordnete, sehr interessante Zeichnung verfertigt hatte, ohne das mindeste von dem Meinen hinzuzutun. Das bestĂ€rkte mich in meinem Vorsatze, mich kĂŒnftig allein an die Natur zu halten. Sie allein ist unendlich reich, und sie allein bildet den großen KĂŒnstler. Man kann zum Vorteile der Regeln viel sagen, ungefĂ€hr was man zum Lobe der bĂŒrgerlichen Gesellschaft sagen kann. Ein Mensch, der sich nach ihnen bildet, wird nie etwas Abgeschmacktes und Schlechtes hervorbringen, wie einer, der sich durch Gesetze und Wohlstand modeln lĂ€ĂŸt, nie ein unertrĂ€glicher Nachbar, nie ein merkwĂŒrdiger Bösewicht werden kann; dagegen wird aber auch alle Regel, man rede was man wolle, das wahre GefĂŒhl von Natur und den wahren Ausdruck derselben zerstören! Sag’ du: ‘das ist zu hart! Sie schrĂ€nkt nur ein, beschneidet die geilen Reben’ etc.—guter Freund, soll ich dir ein Gleichnis geben? Es ist damit wie mit der Liebe. Ein junges Herz hĂ€ngt ganz an einem MĂ€dchen, bringt alle Stunden seines Tages bei ihr zu, verschwendet alle seine KrĂ€fte, all sein Vermögen, um ihr jeden Augenblick auszudrĂŒcken, daß er sich ganz ihr hingibt. Und da kĂ€me ein Philister, ein Mann, der in einem öffentlichen Amte steht, und sagte zu ihm: ‘feiner junger Herr! Lieben ist menschlich, nur mĂŒĂŸt Ihr menschlich lieben! Teilet Eure Stunden ein, die einen zur Arbeit, und die Erholungsstunden widmet Eurem MĂ€dchen. Berechnet Euer Vermögen, und was Euch von Eurer Notdurft ĂŒbrig bleibt, davon verwehr’ ich Euch nicht, ihr ein Geschenk, nur nicht zu oft, zu machen, etwa zu ihrem Geburts—und Namenstage ‘ etc.—folgt der Mensch, so gibt’s einen brauchbaren jungen Menschen, und ich will selbst jedem FĂŒrsten raten, ihn in ein Kollegium zu setzen; nur mit seiner Liebe ist’s am Ende und, wenn er ein KĂŒnstler ist, mit seiner Kunst. O meine Freunde! Warum der Strom des Genies so selten ausbricht, so selten in hohen Fluten hereinbraust und eure staunende Seele erschĂŒttert?—liebe Freunde, da wohnen die gelassenen Herren auf beiden Seiten des Ufers, denen ihre GartenhĂ€uschen, Tulpenbeete und Krautfelder zugrunde gehen wĂŒrden, die daher in Zeiten mit DĂ€mmen und Ableiten der kĂŒnftig drohenden Gefahr abzuwehren wissen. Am 27. Mai Ich bin, wie ich sehe, in VerzĂŒckung, Gleichnisse und Deklamation 10
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Die Leiden des jungen Werthers
Title
Die Leiden des jungen Werthers
Author
Johann Wolfgang von Goethe
Date
1774
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
95
Categories
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