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sieht Lotten lächelnd an, hebt einen drohenden Finger auf und nennt den
Namen Albert zweimal im Vorbeifliegen mit viel Bedeutung.
“Wer ist Albert?” sagte ich zu Lotten, “wenn’s nicht Vermessenheit ist zu
fragen”.—Sie war im Begriff zu antworten, als wir uns scheiden mußten, um
die groĂźe Achte zu machen, und mich dĂĽnkte einiges Nachdenken auf ihrer
Stirn zu sehen, als wir so vor einander vorbeikreuzten.—“Was soll ich’s Ihnen
leugnen,” sagte sie, indem sie mir die Hand zur Promenade bot. “Albert ist
ein braver Mensch, dem ich so gut als verlobt bin”.—nun war mir das nichts
Neues (denn die Mädchen hatten mir’s auf dem Wege gesagt) und war mir
doch so ganz neu, weil ich es noch nicht im Verhältnis auf sie, die mir in so
wenig Augenblicken so wert geworden war, gedacht hatte. Genug, ich
verwirrte mich, vergaĂź mich und kam zwischen das unrechte Paar hinein, daĂź
alles drunter und drĂĽber ging und Lottens ganze Gegenwart und Zerren und
Ziehen nötig war, um es schnell wieder in Ordnung zu bringen.
Der Tanz war noch nicht zu Ende, als die Blitze, die wir schon lange am
Horizonte leuchten gesehn und die ich immer fĂĽr WetterkĂĽhlen ausgegeben
hatte, viel stärker zu werden anfingen und der Donner die Musik überstimmte.
Drei Frauenzimmer liefen aus der Reihe, denen ihre Herren folgten; die
Unordnung wurde allgemein, und die Musik hörte auf. Es ist natürlich, wenn
uns ein UnglĂĽck oder etwas Schreckliches im VergnĂĽgen ĂĽberrascht, daĂź es
stärkere Eindrücke auf uns macht als sonst, teils wegen des Gegensatzes, der
sich so lebhaft empfinden läßt, teils und noch mehr, weil unsere Sinne einmal
der Fühlbarkeit geöffnet sind und also desto schneller einen Eindruck
annehmen. Diesen Ursachen muĂź ich die wunderbaren Grimassen
zuschreiben, in die ich mehrere Frauenzimmer ausbrechen sah. Die klĂĽgste
setzte sich in eine Ecke, mit dem RĂĽcken gegen vor ihr nieder und verbarg
den Kopf in der erster SchoĂź. Eine dritte schob sich zwischen beide hinein
und umfaßte ihre Schwesterchen mit tausend Tränen. Einige wollten nach
Hause; andere, die noch weniger wuĂźten, was sie taten, hatten nicht so viel
Besinnungskraft, den Keckheiten unserer jungen Schlucker zu steuern, die
sehr beschäftigt zu sein schienen, alle die ängstlichen Gebete, die dem
Himmel bestimmt waren, von den Lippen der schönen Bedrängten
wegzufangen. Einige unserer Herren hatten sich hinabbegeben, um ein
Pfeifchen in Ruhe zu rauchen; und die ĂĽbrige Gesellschaft schlug es nicht aus,
als die Wirtin auf den klugen Einfall kam, uns ein Zimmer anzuweisen, das
Läden und Vorhänge hätte. Kaum waren wir da angelangt, als Lotte
beschäftigt war, einen Kreis von Stühlen zu stellen und, als sich die
Gesellschaft auf ihre Bitte gesetzt hatte, den Vortrag zu einem Spiele zu tun.
Ich sah manchen, der in Hoffnung auf ein saftiges Pfand sein Mäulchen
spitzte und seine Glieder reckte.—“Wir spielen Zählens!” sagte sie. “Nun
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Die Leiden des jungen Werthers
- Title
- Die Leiden des jungen Werthers
- Author
- Johann Wolfgang von Goethe
- Date
- 1774
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 95
- Categories
- Weiteres Belletristik