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in der weiten Welt vergebens suchte.
Wenn ich des Morgens mit Sonnenaufgange hinausgehe nach meinem
Wahlheim und dort im Wirtsgarten mir meine Zuckererbsen selbst pflücke,
mich hinsetze, sie abfädne und dazwischen in meinem Homer lese; wenn ich
in der kleinen Küche mir einen Topf wähle, mir Butter aussteche, Schoten ans
Feuer stelle, zudecke und mich dazusetze, sie manchmal umzuschütteln: da
fühl’ ich so lebhaft, wie die übermütigen Freier der Penelope Ochsen und
Schweine schlachten, zerlegen und braten. Es ist nichts, das mich so mit einer
stillen, wahren Empfindung ausfüllte als die Züge patriarchalischen Lebens,
die ich, Gott sei Dank, ohne Affektation in meine Lebensart verweben kann.
Wie wohl ist mir’s, daß mein Herz die simple, harmlose Wonne des
Menschen fühlen kann, der ein Krauthaupt auf seinen Tisch bringt, das er
selbst gezogen, und nun nicht den Kohl allein, sondern all die guten Tage, den
schönen Morgen, da er ihn pflanzte, die lieblichen Abende, da er ihn begoß,
und da er an dem fortschreitenden Wachstum seine Freude hatte, alle in einem
Augenblicke wieder mitgenießt.
Am 29. Junius
Vorgestern kam der Medikus hier aus der Stadt hinaus zum Amtmann und
fand mich auf der Erde unter Lottens Kindern, wie einige auf mir
herumkrabbelten, andere mich neckten, und wie ich sie kitzelte und ein
großes Geschrei mit ihnen erregte. Der Doktor, der eine sehr dogmatische
Drahtpuppe ist, unterm Reden seine Manschetten in Falten legt und einen
Kräusel ohne Ende herauszupft, fand dieses unter der Würde eines gescheiten
Menschen; das merkte ich an seiner Nase. Ich ließ mich aber in nichts stören,
ließ ihn sehr vernünftige Sachen abhandeln und baute den Kindern ihre
Kartenhäuser wieder, die sie zerschlagen hatten. Auch ging er darauf in der
Stadt herum und beklagte, des Amtmanns Kinder wären so schon ungezogen
genug, der Werther verderbe sie nun völlig.
Ja, lieber Wilhelm, meinem Herzen sind die Kinder am nächsten auf der
Erde. Wenn ich ihnen zusehe und in dem kleinen Dinge die Keime aller
Tugenden, aller Kräfte sehe, die sie einmal so nötig brauchen werden; wenn
ich in dem Eigensinne künftige Standhaftigkeit und Festigkeit des Charakters,
in dem Mutwillen guten Humor und Leichtigkeit, über die Gefahren der Welt
hinzuschlüpfen, erblicke, alles so unverdorben, so ganz!—immer, immer
wiederhole ich dann die goldenen Worte des Lehrers der Menschen:“wenn ihr
nicht werdet wie eines von diesen!” und nun, mein Bester, sie, die
unseresgleichen sind, die wir als unsere Muster ansehen sollten, behandeln
wir als Untertanen. Sie sollen keinen Willen haben!—haben wir denn keinen?
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Die Leiden des jungen Werthers
- Title
- Die Leiden des jungen Werthers
- Author
- Johann Wolfgang von Goethe
- Date
- 1774
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 95
- Categories
- Weiteres Belletristik