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Die Leiden des jungen Werthers
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wohl sagen, du hast Sinn für so etwas—wie ich mich selbst anbete, seitdem sie mich liebt! Ob das Vermessenheit ist oder Gefühl des wahren Verhältnisses?—ich kenne den Menschen nicht, von dem ich etwas in Lottens Herzen fürchtete. Und doch—wenn sie von ihrem Bräutigam spricht, mit solcher Wärme, solcher Liebe von ihm spricht—da ist mir’s wie einem, der aller seiner Ehren und Würden entsetzt und dem der Degen genommen wird. Am 16. Julius Ach wie mir das durch alle Adern läuft, wenn mein Finger unversehens den ihrigen berührt, wenn unsere Füße sich unter dem Tische begegnen! Ich ziehe zurück wie vom Feuer, und eine geheime Kraft zieht mich wieder vorwärts— mir wird’s so schwindelig vor allen Sinnen.—O! Und ihre Unschuld, ihre unbefangene Seele fühlt nicht, wie sehr mich die kleinen Vertraulichkeiten peinigen. Wenn sie gar im Gespräch ihre Hand auf die meinige legt und im Interesse der Unterredung näher zu mir rückt, daß der himmlische Atem ihres Mundes meine Lippen erreichen kann:—ich glaube zu versinken, wie vom Wetter gerührt.—und, Wilhelm! Wenn ich mich jemals unterstehe, diesen Himmel, dieses Vertrauen—! Du verstehst mich. Nein, mein Herz ist so verderbt nicht! Schwach! Schwach genug!—und ist das nicht Verderben?— sie ist mir heilig. Alle Begier schweigt in ihrer Gegenwart. Ich weiß nie, wie mir ist, wenn ich bei ihr bin; es ist, als wenn die Seele sich mir in allen Nerven umkehrte.—sie hat eine Melodie, die sie auf dem Klaviere spielet mit der Kraft eines Engels, so simpel und so geistvoll! Es ist ihr Leiblied, und mich stellt es von aller Pein, Verwirrung und Grillen her, wenn sie nur die erste Note davon greift. Kein Wort von der Zauberkraft der alten Musik ist mir unwahrscheinlich. Wie mich der einfache Gesang angreift! Und wie sie ihn anzubringen weiß, oft zur Zeit, wo ich mir eine Kugel vor den Kopf schießen möchte! Die Irrung und Finsternis meiner Seele zerstreut sich, und ich atme wieder freier. Am 18. Julius Wilhelm, was ist unserem Herzen die Welt ohne Liebe! Was eine Zauberlaterne ist ohne Licht! Kaum bringst du das Lämpchen hinein, so scheinen dir die buntesten Bilder an deine weiße Wand! Und wenn’s nichts wäre als das, als vorübergehende Phantome, so macht’s doch immer unser Glück, wenn wir wie frische Jungen davor stehen und uns über die Wundererscheinungen entzücken. Heute konnte ich nicht zu Lotten, eine 28
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Die Leiden des jungen Werthers
Title
Die Leiden des jungen Werthers
Author
Johann Wolfgang von Goethe
Date
1774
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
95
Categories
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