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Stelle wäre! Schon etlichemal ist mir’s so aufgefahren, ich wollte dir
schreiben und dem Minister, um die Stelle bei der Gesandtschaft anzuhalten,
die, wie du versicherst, mir nicht versagt werden würde. Ich glaube es selbst.
Der Minister liebt mich seit langer Zeit, hatte lange mir angelegen, ich sollte
mich irgendeinem Geschäfte widmen; und eine Stunde ist mir’s auch wohl
drum zu tun. Hernach, wenn ich wieder dran denke und mir die Fabel vom
Pferde einfällt, das, seiner Freiheit ungeduldig, sich Sattel und Zeug auflegen
läßt und zuschanden geritten wird—ich weiß nicht, was ich soll.—und, mein
Lieber! Ist nicht vielleicht das Sehnen in mir nach Veränderung des Zustands
eine innere, unbehagliche Ungeduld, die mich überallhin verfolgen wird?
Am 28. August
Es ist wahr, wenn meine Krankheit zu heilen wäre, so würden diese
Menschen es tun. Heute ist mein Geburtstag, und in aller Frühe empfange ich
ein Päckchen von Alberten. Mir fällt beim Eröffnen sogleich eine der
blaßroten Schleifen in die Augen, die Lotte vor hatte, als ich sie kennen
lernte, und um die ich sie seither etlichemal gebeten hatte. Es waren zwei
Büchelchen in Duodez dabei, der kleine Wetsteinische Homer, eine Ausgabe,
nach der ich so oft verlangt, um mich auf dem Spaziergange mit dem
Ernestischen nicht zu schleppen. Sieh! So kommen sie meinen Wünschen
zuvor, so suchen sie alle die kleinen Gefälligkeiten der Freundschaft auf, die
tausendmal werter sind als jene blendenden Geschenke, wodurch uns die
Eitelkeit des Gebers erniedrigt. Ich küsse diese Schleife tausendmal, und mit
jedem Atemzuge schlürfe ich die Erinnerung jener Seligkeiten ein, mit denen
mich jene wenigen, glücklichen, unwiederbringlichen Tage überfüllten.
Wilhelm, es ist so, und ich murre nicht, die Blüten des Lebens sind nur
Erscheinungen! Wie viele gehn vorüber, ohne eine Spur hinter sich zu lassen,
wie wenige setzen Frucht an, und wie wenige dieser Früchte werden reif! Und
doch sind deren noch genug da; und doch—o mein Bruder!—können wir
gereifte Früchte vernachlässigen, verachten, ungenossen verfaulen lassen?
Lebe wohl! Es ist ein herrlicher Sommer; ich sitze oft auf den Obstbäumen
in Lottens Baumstück mit dem Obstbrecher, der langen Stange, und hole die
Birnen aus dem Gipfel. Sie steht unten und nimmt sie ab, wenn ich sie ihr
herunterlasse.
Am 30. August
Unglücklicher! Bist du nicht ein Tor? Betriegst du dich nicht selbst? Was
soll diese tobende, endlose Leidenschaft? Ich habe kein Gebet mehr als an sie;
meiner Einbildungskraft erscheint keine andere Gestalt als die ihrige, und
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Die Leiden des jungen Werthers
- Title
- Die Leiden des jungen Werthers
- Author
- Johann Wolfgang von Goethe
- Date
- 1774
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 95
- Categories
- Weiteres Belletristik