Web-Books
in the Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Weiteres
Belletristik
Die Leiden des jungen Werthers
Page - 64 -
  • User
  • Version
    • full version
    • text only version
  • Language
    • Deutsch - German
    • English

Page - 64 - in Die Leiden des jungen Werthers

Image of the Page - 64 -

Image of the Page - 64 - in Die Leiden des jungen Werthers

Text of the Page - 64 -

Ach diese Lücke! Diese entsetzliche Lücke, die ich hier in meinem Busen fühle!—Ich denke oft, wenn du sie nur einmal, nur einmal an dieses Herz drücken könntest, diese ganze Lücke würde ausgefüllt sein. Am 19. Oktober Ja es wird mir gewiß, Lieber, gewiß und immer gewisser, daß an dem Dasein eines Geschöpfes wenig gelegen ist, ganz wenig. Es kam eine Freundin zu Lotten, und ich ging herein ins Nebenzimmer, ein Buch zu nehmen, und konnte nicht lesen, und dann nahm ich eine Feder, zu schreiben. Ich hörte sie leise reden; sie erzählten einander unbedeutende Sachen, Stadtneuigkeiten: wie diese heiratet, wie jene krank, sehr krank ist.—“Sie hat einen trocknen Husten, die Knochen stehn ihr zum Gesichte heraus, und kriegt Ohnmachten; ich gebe keinen Kreuzer für ihr Leben.” Sagte die eine. —“Der N. N. ist auch so Übel dran,” sagte Lotte.—“Er ist schon geschwollen,” sagte die andere.—Und meine lebhafte Einbildungskraft versetzte mich ans Bett dieser Armen; ich sah sie, mit welchem Widerwillen sie dem Leben den Rücken wandten, wie sie—Wilhelm! Und meine Weibchen redeten davon, wie man eben davon redet—daß ein Fremder stirbt. —Und wenn ich mich umsehe und sehe das Zimmer an, und rings um mich Lottens Kleider und Alberts Skripturen und diese Möbeln, denen ich nun so befreundet bin, sogar diesem Dintenfaß, und denke: siehe, was du nun diesem Hause bist! Alles in allem. Deine Freunde ehren dich! Du machst oft ihre Freude, und deinem Herzen scheint es, als wenn es ohne sie nicht sein könnte; und doch—wenn du nun gingst, wenn du aus diesem Kreise schiedest? Würden sie, wie lange würden sie die Lücke fühlen, die dein Verlust in ihr Schicksal reißt? Wie lange?—O, so vergänglich ist der Mensch, daß er auch da, wo er seines Daseins eigentliche Gewißheit hat, da, wo er den einzigen wahren Eindruck seiner Gegenwart macht, in dem Andenken, in der Seele seiner Lieben, daß er auch da verlöschen, verschwinden muß, und das so bald! Am 27. Oktober Ich möchte mir oft die Brust zerreißen und das Gehirn einstoßen, daß man einander so wenig sein kann. Ach die Liebe, Freude, Wärme und Wonne, die ich nicht hinzubringe, wird mir der andere nicht geben, und mit einem ganzen Herzen voll Seligkeit werde ich den andern nicht beglücken, der kalt und kraftlos vor mir steht. Ich habe so viel, und die Emfpindung an ihr verschlingt alles; ich habe so viel, und ohne sie wird mir alles zu Nichts. Am 27. Oktober abends 64
back to the  book Die Leiden des jungen Werthers"
Die Leiden des jungen Werthers
Title
Die Leiden des jungen Werthers
Author
Johann Wolfgang von Goethe
Date
1774
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
95
Categories
Weiteres Belletristik
Web-Books
Library
Privacy
Imprint
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Die Leiden des jungen Werthers