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bedarf dieser Würdigung von Unterschieden, um von daher überhaupt erst zu
einer intersubjektiven Anerkennung zwischen Gleichberechtigten zu gelangen.
„In der letztgenannten – normativen – Theorie der wechselseitigen Anerkennung wird die
Integrität menschlicher Subjekte in Abhängigkeit von der Zustimmung und Achtung durch
andere Personen gesehen, weil sie durch Beleidigung und Mißachtung verletzt werden
kann.“ (Ebd.: 60)
Sich in einer positiven Selbst-Beziehung zu erfahren, ist von wechselseitiger
Anerkennung, einer zustimmenden Reaktion der jeweils anderen Person be-
stimmt. Für Bildungsprozesse bedeutet dies:
„Das gesellschaftlich wertvolle Gut, das Schulen und andere pädagogische Einrichtungen
aus eigener Machtbefugnis und eigenen Ressourcen zu verteilen haben, heißt intersubjektive
Anerkennung jeder einzelnen Person in ihrer je einmaligen Lebenslage.“ (Ebd.: 61)
Davon leitet sich die Bedeutsamkeit kultureller Bezüge sowie sprachlicher und
sozialer Dispositionen als Basis einer gleichberechtigten Teilhabe an Ressour-
cen der Bildungsinstitutionen ab (vgl. ebd.: 8). In diesem Sinne sieht Balzer
(2014) die Semantik der Differenz bei Prengel mit einer Semantik der Moral
verknüpft (vgl. ebd.: 8f.). Bezogen auf Borst (2003) ist Anerkennung nicht nur
eine moralische Frage von Gerechtigkeit, sondern die Basis reflexiv-emanzi-
patorischer Bildungsprozesse mit den Zielen der Mündigkeit und der Emanzi-
pation (vgl. ebd.: 106). In der Polarität zwischen einem Subjekt, das sich nur
im Widerstand konstituiert, wie Sartre es sieht, und einem Subjekt der Abhän-
gigkeit, wie es deterministisch gedacht wäre, steht der konkrete lernende
Mensch Lévinas’ mit der Befähigung zur Hinwendung und der Angewiesen-
heit auf Angenommensein.
„Einem Menschen begegnen heißt, von einem Rätsel wachgehalten zu
werden.“ (Lévinas 1983: 120) So versagen jegliche Kategorien, um die Ein-
zigartigkeit der/des Anderen darzustellen. Das Antlitz der/des Anderen ent-
zieht sich meinem Zugriff, ihn festzumachen. Ein daran orientiertes Verständ-
nis von Lern- und Bildungsprozessen fordert für das Subjekt Anerkennung ein,
ohne es damit zu vereinnahmen oder festzumachen, sondern als Ermöglichung
einer Ermächtigung, die es nicht alleine bewerkstelligen kann und deshalb der
Hinwendung bedarf, die aber dennoch nur durch es in der je eigenen Beson-
derheit konkret werden kann. Im Sinne Lévinas’ verlangt dies eine Ethik und
Verantwortung, die in der Beziehung zu Anderen beginnt und in der diese/r
Andere auch anders bleiben darf. Der Ruf der/des Anderen fordert mich auf zu
antworten, und diese Antwort (oder Verantwortung) auf die Einzigartigkeit
der/des Anderen, wird immer wieder neu entschieden.
„Ansonsten wäre die Verantwortung keine Verantwortung, sondern lediglich ein Abspulen
eines Handlungsprogramms. In Derrida’schen Begriffen heißt das: die Verantwortung oder
Entscheidung muss jedes Mal durch eine Unentscheidbarkeit (die durch die Beziehung zum
Anderen ermöglicht wird) hindurch.“ (Moebius 2004: 49)
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Lernprozesse über die Lebensspanne
Bildung erforschen, gestalten und nachhaltig fördern
Veröffentlicht mit Unterstützung der Fakultät für Kulturwissenschaften der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
- Title
- Lernprozesse über die Lebensspanne
- Subtitle
- Bildung erforschen, gestalten und nachhaltig fördern
- Authors
- Monika Kastner
- Jasmin Donlic
- Barbara Hanfstingl
- Editor
- Elisabeth Jaksche-Hoffman
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8474-1467-4
- Size
- 14.7 x 21.0 cm
- Pages
- 190
- Category
- Lehrbücher