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Titel bis zu wertgeschätztem inhaltlichen Vermögen wie Reflexions- und Kri-
tikfähigkeit, breiter Wissensbestand, Eloquenz und gute Umgangsformen.3
Angesprochen wurden hiermit in der Regel positiv wertend die Fähigkeiten
eines Menschen, sich in der gegebenen sozialen Lebenswelt allgemein und be-
ruflich behaupten zu können. So haben insbesondere Universitäten seit ihrer
Gründung vor über 900 Jahren (Bologna 1088) immer beides ohne strikte
Trennung verfolgt: Allgemeinbildung zur Entwicklung umfassenderen Wis-
sens, Denkens und Handelns sowie Berufsbildung zur kompetenten Befähi-
gung in Professionen (in Bologna beispielsweise zuerst zum Rechtskundigen;
Prahl/Schmidt-Harzbach 1981: 18ff.). So entstand „Bildung durch Wissen-
schaft“ (Humboldt 1964) als wissenschaftliche Bildung (Kellermann 2016;
Pichler 2017).
Drittens: Das stetige Wiederkehren von bildungspolitischen Diskussionen
lässt erkennen, dass die jeweils gewünschten Erfolge nicht erreicht wurden und
werden. Denn wenn nicht wirklich verstanden wird, was anders gestaltet wer-
den soll, dann zwingen Misserfolge zu erneuten Versuchen.
Ich habe im Laufe meines Lebens bildungspolitische Konjunkturen mit fol-
genden ausgewählten Hauptthemen erlebt: Re-education, Bildungskatastro-
phe, Bedarfsfeststellung, Bildungseffizienz, Begabungsreserven, Bürgerrecht
auf Bildung, kompensatorische bzw. emanzipatorische Erziehung. Zu den da-
maligen Initiativen zählt auch die Konferenz Economic Growth and Investment
in Education der Organisation for Economic Cooperation and Development
(OECD) 1961 in Washington, D. C. (Gehmacher 1966: 4). Es entwickelte sich
daraus der auf Erzielung von einsetzbarem qualifizierten Arbeitsvermögen be-
zogene utilitaristische Begriff „Humankapital“: „Human capital is productive
wealth embodied in labour, skills and knowledge.“ (OECD 2014: 90) Es do-
minierten und dominieren dabei jeweils organisatorische, meist auf Zahlen be-
ruhende Argumente, kaum inhaltliche. Weltweite Aufnahme in die einschlägig
interessengeleitete Politik fand dann die von der OECD herausgegebene Reihe
„Education at a Glance“ (erstmals 1998, seit dem Jahr 2000 jährlich). Es ist
jene wirtschaftspolitische Organisation, die weitreichende Konsequenzen in
der politischen Diskussion und Organisation des formalen Ausbildungssys-
tems, seiner Strukturen und Finanzierungen verursachte.
Die wenig erfolgreichen bildungspolitischen Konjunkturen lassen sich da-
mit erklären, dass die vorherrschenden Handlungsorientierungen zu „Bildung“
amputiert sind: Allgemein werden verkürzt unter „Bildung“ normativ lediglich
3 Kontrastierend spricht Konrad Paul Liessmann, wohl der bekannteste österreichische Kriti-
ker der aktuellen Bildungspolitik, von der „Idee von Bildung“ und meint mit Bildung Bil-
dungsinhalte: „Denn Bildung in einem unverkürzten Sinn lebt wesentlich von der Vergan-
genheit, vom Wissen, den Technologien, den Kunstwerken, den Religionen und Weltan-
schauungen, den Literaturen, die von Menschen hervorgebracht wurden und auf denen Men-
schen aufbauen und an denen sie weiterarbeiten können.“ (Liessmann 2015: 48)
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Lernprozesse über die Lebensspanne
Bildung erforschen, gestalten und nachhaltig fördern
Veröffentlicht mit Unterstützung der Fakultät für Kulturwissenschaften der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
- Title
- Lernprozesse über die Lebensspanne
- Subtitle
- Bildung erforschen, gestalten und nachhaltig fördern
- Authors
- Monika Kastner
- Jasmin Donlic
- Barbara Hanfstingl
- Editor
- Elisabeth Jaksche-Hoffman
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8474-1467-4
- Size
- 14.7 x 21.0 cm
- Pages
- 190
- Category
- Lehrbücher