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28 | www.limina-graz.eu Das Ergebnis ist eine Machtformation, die eine in der Geschichte der
mensch lichen Gesellschaften bislang unerreichte und ungemein erfolg-
reiche Kombination von Individualisierungstechniken und Totalisierungs-
verfahren realisiert, und das innerhalb ein und derselben politischen
Struktur. Der moderne abendländische Staat integriert die alte christliche
Machttechnik der Pastoralmacht in eine neue, effektive politische Form.
Der aktuelle digitale Überwachungsstaat, so wird man Foucault weiterfüh-
ren können, treibt diese Doppelbewegung von Individualisierung und To-
talisierung auf eine neue Spitze. Was ist der Beichtstuhl gegen die NSA? „In
gewisser Hinsicht kann man den modernen Staat als eine Individualisie-
rungs-Matrix oder eine neue Form der Pastoralmacht ansehen.“ (Foucault
1987, 249)
Die Dopplung von unterworfenem sujet und selbstbewusstem Subjekt ver-
schiebt sich unter der Dominanz der aktuell herrschenden (neo-)liberalen
Konzepte immer mehr in Richtung des Pathos eines „freien“ Subjekts.
„Wir glauben heute, dass wir kein unterworfenes Subjekt, sondern ein
freies, sich immer neu entwerfendes, neu erfindendes Projekt sind“, so
Byung-Chul Hans an Foucault anknüpfende Analyse. Sie beschreibt, was
neuerdings passiert. „Dieser Übergang vom Subjekt zum Projekt wird vom
Gefühl der Freiheit begleitet. Nun erweist sich dieses Projekt selbst als eine
Zwangsfigur, sogar als effizientere Form der Subjektivierung und Unterwer-
fung.“ (Han 2014, 9)
Denn der aktuell dominierende (Neo-)Liberalismus verwischt die Diffe-
renz von Hirte und Schaf, das nun zum „Hirten seiner selbst“ wird oder
mindestens werden soll. Das Subjekt wird immer stärker sich selbst gegen-
über rechenschaftspflichtig, wird verantwortlich dafür gemacht, seine
selbst gesteckten Ziele und darin Zufriedenheit zu erreichen. Inwieweit
das Subjekt dennoch weiterhin auch Objekt des Regierens bleibt, obwohl
oder gerade weil und indem es sich selbst zum Gegenstand und Mittel der
Regierungspraktiken macht, wird noch zu betrachten sein.
2.
Wie werden wir regiert? Einerseits sind da die fürsorgliche Pastoral-
macht des Staates, sein Recht und seine Überwachungskapazitäten, seine
Für sorge und seine Sanktionsmacht, andererseits aber wirkt da in und
hinter all dem die subtile Steuerungstechnik des Kapitalismus. Der aber
steuert nicht primär über Gehorsam, auch nicht zuerst über das Pastoral-
Rainer Bucher | Die aktuelle Logik der Welt
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 1:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 1:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 236
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven