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34 | www.limina-graz.eu Die dunkle Seite des unternehmerischen Selbst ist deutlich: „die Unab-
schließbarkeit der Optimierungszwänge, die unerbittliche Auslese des
Wettbewerbs, die nicht zu bannende Angst vor dem Scheitern.“ (Bröck-
ling 2007, 17) Wenn dann gar „Marktmechanismen gegenstrebige Impulse
entweder absorbieren oder marginalisieren und das unternehmerische
Selbst“ schließlich gar „mit der Norm konfrontieren, nicht konformistisch
zu sein“ (Bröckling 2007, 17), wird es nur scheinbar tragikomisch, es treibt
die Optimierungsspirale nur eine Windung höher. Depressive Erschöpfung,
Ironisierung und passive Resistenz stellen nach Bröckling gängige Reak-
tionen darauf dar.
Das unternehmerische Selbst kann die AnsprĂĽche, gerade jene, die es an
sich selbst stellt, nie einlösen, es lebt im ständigen Vergleich mit anderen
und in der Gefahr, ausgesondert zu werden. „Das Gefühl der Unzulänglich-
keit […] ist chronisch, die einschlägigen Therapien versprechen nicht Hei-
lung, sondern Krisenabfederung durch gute Wartung.“ (Bröckling 2007,
290) „Im pharmakologischen Befindlichkeitstuning“ schließlich „hält der
Selbstoptimierungsimperativ noch jene in seinem Bann, die an ihm ver-
zweifeln.“ (Bröckling 2007, 291) Wer ironisch auf die Situation reagiert,
enttarnt ihre Absurdität, spitzt die Widersprüchlichkeiten zu „und zieht
so ins Lächerliche, was er nicht ändern kann.“ (Bröckling 2007, 291) Aber
selbst der Müßiggang ist mittlerweile „marktgängig geworden“ (Bröckling
2007, 295): Auch fĂĽr die Abkehr von Erfolg und Reichtum gibt es Ratgeber.
3.
Die Regierungstechnik des kulturell hegemonial gewordenen Kapitalismus
appelliert nun aber nicht nur an das unternehmerische KalkĂĽl im Selbst,
so sehr es dem Individuum auch vorspiegelt, auf dieser Ebene souverän zu
agieren, und seinen sujet-Status verschleiert. Die kapitalistische Regie-
rungstechnik arbeitet noch auf einer verborgeneren und schwerer zu er-
hellenden Ebene: jener der GefĂĽhle und SehnsĂĽchte der Regierten. Kul-
turell hegemonialer Kapitalismus meint also nicht nur, dass sich die Logik
und die Mechanismen des Marktes in immer mehr gesellschaftliche Teil-
systeme ausbreiten und deren Eigenlogiken unterwandern und ĂĽberfor-
men, was natürlich offenkundig der Fall ist und wofür die Universität mit
ihrem akademischen Kapitalismus (vgl. Münch 2011), die öffentliche Ver-
waltung mit dem new public management (vgl. Schedler/Proeller 2006) und
der Sport paradigmatisch stehen.
Rainer Bucher | Die aktuelle Logik der Welt
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 1:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 1:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 236
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven