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82 | www.limina-graz.eu walt zu rechtfertigen, und ruft den Zorn (9,8–9: θυμός bzw. – als stärker
theologisch gefüllter terminus technicus – ὀργή) Gottes auf die Feinde herab
(vgl. Ex 15,7–8 LXX), dessen Macht ihre Stärke brechen soll. – Dem ge-
genüber steht das von Nabuchodonosor eingangs zornig (1,12: ἐθυμώθη;
2,7: θυμός; zu Holofernes vgl. 5,2) angedrohte Strafgericht als „gerechte“
Bestrafung (1,12; 2,1; 6,5: ἐκδικέω) von Widerstand gegen die göttlich an-
geordnete Unterwerfung – wie hintergründig, religiös aufgeladen, auf der
Linie gerade etwa auch bekannter assyrischer Propaganda (zu assyrischer
Kriegsrhetorik siehe z. B. Lewis 2008 und Nissinen 2008), die aggressive
Expansionspolitik mit Kriegsgewalt, auf deren Erfolge sich die Macht des
Königs stützt, legitimiert wird. Das Juditbuch thematisiert dabei mehrmals
insbesondere die Kriegsgräuel, welche die Zivilbevölkerung treffen (vgl.
4,12; 7,27; 16,4; ferner 9,4; sexuelle Gewalt an Frauen beispielsweise dient
nach wie vor als strategisches Instrument der Kriegsführung).
In Kontinuität zur biblischen Überlieferung sieht Jdt gegenüber konkurrie-
renden Ansprüchen das Recht auf der Seite Gottes, „der Unrecht hasst“ (5,17;
daher kann auch Israel eine Bestrafung treffen, vgl. 7,28; 8,27; 11,10). Wie Jdt
9,11 programmatisch formuliert, tritt er als „Gott der Erniedrigten“24 (vgl.
6,19; 7,32) und „Beistand der Schwachen“ – gerade auch von Witwen25 –
für die Machtlosen ein (auf die „Erniedrigten“ und „Schwachen“ rekur-
riert Judit/Zion auch in 16,11; vgl. außerdem 1 Sam 2,4.7 LXX), verschafft
Unterdrückten und Gewaltopfern Gerechtigkeit, ermächtigt die scheinbar
Ohnmächtigen zum Widerstand – und „zerschlägt Kriege“ (doppelt be-
tont in 9,7; 16,2): Die hier konnotierte Gewalt verweist auf eine allmächtige
Gottheit (vgl. 4,13; 8,13; 15,10; 16,5.17), deren „Ziel es jedoch ist, Kriege zu
beenden“ (Schmitz/Engel 2014, 285). Den umlau
fenden Kriegsideologien,
die militärische Stärke positiv assoziieren (und auch mit entsprechenden
Idealvorstellungen von Maskulinität untermauern), wird damit der Boden
entzogen. Die in Jdt demaskierte destruktive Macht scheitert – aufgrund
der eigenen Waffe – an einer verletzbaren, bedrohten Frauengestalt, der
Gegenfigur zur Gewalt par excellence (Zenger 2004, 836).
Der Stoff des Juditbuches bot quer durch die Epochen Anlass für vielfältige
Rezeptionen. Allerdings wurde aus der argumentierenden Theologin und
tatkräftigen Retterin (Betulias, Israels und der Welt) in der christlichen
Rezeptionsgeschichte – von der Patristik bis zu modernen Adaptationen in
Literatur und Bildender Kunst (man denke nur an Klimts berühmte Darstel-
lungen Judits) – die femme fatale, deren Handeln auf die Genderperspektive
der unerhörten Tötung eines Mannes durch eine Frau reduziert wird.26
Andrea Taschl-Erber | Die Macht der Ohnmächtigen
24 Der griechische Wortstamm
schließt bei „Erniedrigung“ auch
geschlechtsspezifische Gewalt-
erfahrungen im Kontext von Krieg
und militärischer Besatzung ein:
siehe Klgl 5,11 LXX. In Bezug auf
Dina vgl. außerdem Gen 34,2 LXX.
25 Vgl. z. B. Ps 145,9 LXX (= 146,9)
oder Ex 22,21–23; Dtn 10,18; Ps 68,6.
Judit freilich ist reich (Jdt 8,7; siehe
auch 16,24) und verfügt damit über
die Ressourcen, die ihr zu Selbstän-
digkeit verhelfen; dazu Schmitz/
Lange 2017, 41–44.
26 Zur „Macht der Rezeption“ siehe
Siquans 2013; außerdem Stocker
1998; Fischer 1999; Gierlinger-
Czerny 2000; Motté 2003, 163–183;
Kobelt-Groch 2005; Birnbaum 2009
und 2013.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 1:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 1:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 236
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven