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108 | www.limina-graz.eu Umwelt gründen, in welcher der Mensch als reflexives Wesen beschrieben
wird, das in seine Umwelt eingebunden ist und mit dieser interagiert. Das
Ziel einer Theorie der Internationalen Beziehungen wäre sodann die Be-
schreibung der conditio humana in ihrem Erklärungspotential für die Ver-
bindung von Akteur und Antrieb bzw. Dynamiken. (Berenskötter 2017)
Die Rolle des Subjekts scheint also von fundamentaler Rolle für die Be-
schreibung von Religion als Faktor in den Internationalen Beziehungen
zu sein. Dieses muss in seiner Dynamik mit der (trans-)nationalen und
internationalen Ebene in Beziehung gesetzt werden. Es bleibt aber frag-
lich, ob eine Generalisierung der subjektiven Perspektive auf globaler Ebe-
ne möglich ist bzw. bis zu welchem Grad. Schließlich können individu-
elle Wahlmöglichkeiten sozio-politisch oder kulturell mehr oder weniger
eingeschränkt sein.
Peter Berger beschreibt Globalisierung als einen weltumspannenden Pro-
zess, welcher eine Dynamik der Individualisierung vorantreibe. Dies stärke
die Unabhängigkeit des Individuums gegenüber Tradition und Formen der
Kollektivität. Berger beschreibt dies als sozialen und psychologischen Pro-
zess, der dem Subjekt eine Reihe von Wahlmöglichkeiten im täglichen Le-
ben bewusst mache. (Berger 2003, 9–10) Dies ist natürlich auch für Religion
der Fall. Das führt zur Entkoppelung von Religion von ihren traditionellen
Strukturen, wie etwa von Thomas Luckmann (1967) oder José Casanova
(1994) beschrieben. Andrew Dawson nennt als Folge einen Zustand dyna-
mischer Diversität. Während die fixierte Diversität in einer faktischen Plu-
ralität religiöser Glaubensgemeinschaften besteht, meint die dynamische
Diversität eine erhöhte individuelle Wahl- und Ausdrucksmöglichkeit des
religiösen Selbstausdrucks. So ist das Religiöse in vielen Weltregionen als
mehrdimensionales Phänomen präsent, zu dem sich Subjekte individuell
verhalten können. (Dawson 2018)
Für den islamischen Raum beschreibt das Phänomen des Post-Islamismus
eine analoge Situation. Neben der allgemeineren globalen Dynamik hätten
zudem nach Olivier Roy (2001) oder Asef Bayet (1996) auch die letztliche
politische Nicht-Durchsetzung des Islamismus oder dessen Unfähigkeit,
eine genuin islamische Gesellschaftsordnung zu postulieren, nicht nur
zum Ende von großen politischen Erzählungen geführt, sondern auch zur
Diversifizierung des Islamischen und zu dessen Individualisierung.
Eine Theorie von Religion in den Internationalen Beziehungen in ihrer Re-
levanz für Konflikte im Nahen Osten und Nordafrika muss also in einer
Onto logie des Individuums gründen, die eine Vielzahl an Wahlmöglich-
keiten des religiösen Ausdrucks voraussetzt. Dabei kann das Subjekt auf
Maximilian Lakitsch | Religion und Konflikt in den Internationalen Beziehungen
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 1:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 1:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 236
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven