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116 | www.limina-graz.eu Wer Zukunft verspricht, verspricht sich. Und wer etwas verspricht, kann
sich in einer Zukunft lokalisieren, obwohl sie noch nicht ganz absehbar
ist. Das Versprechen tritt aber leider nicht in einem einfachen, sondern in
einem doppelten Sinn auf.
Zum einen gilt es in dem Sinn, dass das Versprechen von der eigenen Exis-
tenz abgedeckt wird, um glaubhaft zu sein. Wer Zukunft verspricht, steht
dafür mit einer Praxis und/oder tragfähigen Hoffnung ein, von der glaub-
würdig Rechenschaft abgelegt werden muss. Dann kann, wer der verspre-
chenden Person, Organisation, Institution etc. traut, auch der verspro-
chenen Zukunft trauen und sich in ihre Unwägbarkeit hineintrauen. Der
Sinn des Versprechens, Zukunft zu gestalten oder sogar bewältigen zu
können, geht dabei mit einer Bedeutung einher, die an den versprechenden
Subjekten zu erfassen und manchmal sogar zu überprüfen ist. Der christli-
che Glaube lebt von Versprechen dieser Art.
Das Versprechen tritt jedoch auch in dem Sinn auf, dass etwas gesagt wird,
was eigentlich so nicht benannt werden sollte, aber deshalb offenbarend
ist. Ein Versprechen bei der Aussprache oder der Vokabel ist natürlich un-
problematisch und hier auch nicht gemeint. Auch der berühmte Freud-
sche Versprecher sei hier außen vor gelassen. Er legt zwar Interessantes
über die sich versprechende Person frei, aber das muss nicht unbedingt
eine Zukunft tangieren. Mit dem anderen Sinn von Versprechen meine ich
vielmehr Äußerungen, bei denen etwas sichtbar wird, das eigentlich ver-
borgen bleiben sollte, aber in den Raum tritt. Dabei wird etwas offenbar,
was die Versprechen im ersten Sinn durch befremdliche Größen relativiert,
die nun zu Tage treten. An diesem Versprechen zerbricht dann die Zukunft,
auf die man sich möglicherweise schon eingestellt hat, weil das Verspre-
chen vertrauenswürdig erschien. Aber etwas ganz anderes ist aufgerissen,
was weder Vertrauen verdient noch Glaubwürdigkeit erzeugt. Dieser Riss
soll im Folgenden bereits an der Schreibweise „Ver-sprechen“ deutlich
werden. Der Sinn des Ver-sprechens und die Bedeutung der Größe, die es in
der Zukunft darstellt, fallen gravierend auseinander. Die Bedeutung kann
den Sinn massiv übersteigen und bedroht die Versprechen des Glaubens im
Kern. Er fault von innen heraus, wenn dem nicht Einhalt geboten wird.
Zwischen einem Versprechen und einem Ver-sprechen steht die Zukunft
als eine potentielle Fundstelle Gottes oder ein sich Gott verweigernder Ort.
Hans-Joachim Sander | Gebrochenes Ver(-)sprechen
Wer Zukunft verspricht, steht dafür mit einer Praxis und/oder tragfähigen
Hoffnung ein, von der glaubwürdig Rechenschaft abgelegt werden muss.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 1:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 1:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 236
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven