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119 | www.limina-graz.eu schenderweise attackiert Jesus dieses Versprechen, weil es offenbar nur das
Ver-sprechen einer gefährlichen Macht darstellt. Er dreht sich erstens um
und fährt Petrus zweitens an: „Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen!“
(Mt 16,23) Das ist heftig, aber es ist unausweichlich.
Was ist hier geschehen? Warum ist die Sorge des Petrus um Jesus und
sein Widerstand gegen dessen Tod in Jerusalem ein satanischer Vers? In
dem einen Satz „das soll Gott verhüten, Herr“ wird alles im christlichen
Glauben so falsch gemacht, wie es schlimmer nicht mehr geht. Der Satz ist
das Spitzenprodukt des falschen Glaubens, der Zukunft nur ver-sprechen
kann, aber niemals auch nur in die Nähe der verheißenen Zukunft gelangt.
Wenn auch nur Teile dieses Satzes stehen bleiben, wird jedes Versprechen
des christlichen Glaubens bedeutungslos. Darum charakterisiert Jesus ihn
als satanischen Vers.1
Es gibt drei GrĂĽnde in diesem Vers, die alles verdrehen, worauf es im
Glauben ankommt. Erstens will Petrus das Leiden verhindern, das Jesus
versprochen hat. FĂĽr Petrus darf das nicht eintreten. Ganz gegen die mo-
derne Intuition, mit Theodizee um die Souveränität des Subjektes vor Gott
ringen zu mĂĽssen, wird hier ausgerechnet das Leiden zum Ort, um auf Gott
zu treffen. Wer Leiden verwirft, versperrt den Zugang zu Gott. Leiden ist
ein locus theologicus von groĂźem Gewicht, allerdings ist es eine befremdli-
che Fundstelle, ein locus theologicus alienus. Das tiefere Problem, das hier
mit dem falschen Glauben des Petrus sichtbar wird, ist nicht das Leiden,
sondern das Böse.
Dem will Petrus dadurch ausweichen, dass er zweitens den Gang nach Je-
rusalem verweigert. Das ist schlieĂźlich das, was Gott verhĂĽten soll. Pe-
trus – wie alle Jünger Jesu – will nicht nach Jerusalem; ihr Horizont ist das
kleine Galiläa, in dem sie erfolgreich sind. In Jerusalem wären sie nur eine
religiöse Gruppe unter vielen. Aber der Glaube an Jesus ist zunächst ein-
mal nichts „für Kleinbauern“ (Körner 2010); er geht erst in einer urbanen
Umgebung auf, gerade weil sie für ihn so prekär ist. Ohne die Stadt, ohne
ihre bis ins Bösartige steigerungsfähige Pluralität, aber auch ohne ihre
beständige Hoffnung auf ein ständig verbesserungsfähiges Leben sind die
Versprechungen des Glaubens nicht zu haben (Ebner 2012). Von der Stadt
aus gelangen sie dann in ländliche Gebiete, nicht umgekehrt.
SchlieĂźlich offenbart sich im theologischen Spannungsbogen der dritte
Grund fĂĽr den satanischen Vers: Gott soll verhĂĽten, dass geschieht, was
Jesus verspricht. Aber Petrus adressiert das zugleich an den „Herrn“, also
den kyrios. Der ist jedoch nach klassisch jüdischer Lesart spätestens seit der
Septuaginta mit Gott identisch. Paulus arbeitet ganz entschieden mit die-
Hans-Joachim Sander | Gebrochenes Ver(-)sprechen
1 Woher der Satan kulturgeschicht-
lich eigentlich kommt, ist unklar.
Sicher ist aber, dass diese Figur mit
dualistischen Systemen zu tun hat,
wie sie in der iranischen Religion des
Zarathustra vorliegen. Am Hof der
achämenidischen Großkönige gab es
eine Art Doppelung des Herrschers
in Gestalt eines Hofbeamten, den die
mazedonischen Eroberer „chiliarch“
nannten. Er scheint als eine Art
Wezir die Leibgarde des Herrschers
zu befehligen, aber an seiner Posi-
tion werden in achämenidischen
Texten vor allem Hofintrigen sowie
ihre Bekämpfung festgemacht. Man
kam scheinbar um ihn nicht herum,
wenn man eine Eindeutigkeit des
Herrscherwillens festmachen wollte;
er war sowohl potentieller Gegen-
spieler wie Machtinstrument des
Herrschers (vgl. Keaveney 2010).
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 1:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 1:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 236
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven