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121 | www.limina-graz.eu wohl von innen her in schwere See bringen. Der Fels der Kirche in Gestalt
des Papsttums ist keine Utopie, vielmehr ein Heterotop, dessen befremd-
lichem Diskurs man gerade nicht ausweichen kann. Schließlich lassen sich
Ver-sprechungen des Glaubens dort nur allzu gerne nieder. Dafür gibt es
ein furchtbares Beispiel aus der jüngeren Geschichte der österreichischen
Kirche. Es führt zum sexuellen Missbrauch, dem satanischen Vers der heu-
tigen Kirche schlechthin.
Ver-sprechen verstockter Selbstgerechtigkeit
In einem Kommentar des damaligen Wiener Erzbischofs Hans Hermann
Groër vom 22. Februar 1995, der seinen Mitarbeitern am erzbischöflichen
Ordinariat ein Schreiben der Glaubenskongregation über den Ausschluss
von Wiederverheiratet-Geschiedenen vom Kommunionempfang empfahl
(Waste 2013, 52, Fußnote 134), wird auf das Versprechen des Paulus an die
Korinther in 1 Kor 6,9-10 angespielt und ein Teil davon zitiert: „Täuscht
euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener, weder Ehebrecher noch
Lustknaben noch Knabenschänder“ (1 Kor 6,9) werden das Reich Gottes
erben. Wiederverheiratet-Geschiedene sind nach der konservativen Lesart,
die Kardinal Groër hier bemüht und bedienen will, Ehebrecher. Aber Paulus
bezieht sich eben auch auf Knabenschänder. Der Wiener Erzbischof konnte
es nicht lassen, auch das aus der Korintherbriefstelle anzuführen, und damit
wird aus dem Versprechen des Paulus ein Ver-sprechen des Kardinals. Bei
einem Ver-sprechen treten der versprochene Sinn und die Bedeutung des
Ausgesprochenen scharf auseinander und die Zukunft wandelt sich gra-
vierend. Sowohl diese Differenz wie jener Wandel haben Groër schnell und
massiv eingeholt. Aus seinem Kommentar wurde ein satanischer Vers.
Das Nachrichtenmagazin profil kompilierte den Kommentar in seiner
Ausgabe vom 6. März 1995 mit dem gerade erschienenen Fastenhirtenbrief
in der Wiener Erzdiözese zu einer Notiz über „Groërs Rezepte“. Die Notiz
hatte es in sich. Sie war der Versuch der Redaktion, mit weiteren Quellen
die ihr schon seit längerem vorliegenden handfesten Hinweise auf sexuelle
Übergriffe an männlichen Jugendlichen in der Vergangenheit des Wiener
Kardinals zu belegen, deren Überbringer zunächst nicht aus der Anony-
mität heraustreten wollten.2 Ein früheres Opfer von Groër im Knabensemi-
nar Holla
brunn, Josef Hartmann, meldete sich auf die publizierte Notiz hin
bei profil.
Hans-Joachim Sander | Gebrochenes Ver(-)sprechen
2 So berichtet es der damalige
Chefredakteur Josef Votzi in einem
Interview (Votzi 2016) anlässlich der
Verleihung des Oscars für den besten
Film 2016 an Spotlight, der Ge-
schichte über das Investigativteam
des Boston Globe, der am Dreikönigs-
tag 2002 den Fall eines sexuellen
Missbrauchs in der katholischen
Erzdiözese Boston ausführlich
enthüllt und damit eine weltweite
Lawine losgetreten hatte, die bis
heute durch die katholische Kirche
fegt. Anders als Kardinal Groër ging
Bernhard Kardinal Law, der dama-
lige Erzbischof von Boston, bereits
drei Tage später, also am 9. Jänner
2002, mit einer Erklärung und einer
Pressekonferenz an die Öffentlich-
keit (Law 2002). Allerdings ereilte
Law bei der Frage-Antwort-Runde
dann das Ver-sprechungsproblem,
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 1:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 1:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 236
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven