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126 | www.limina-graz.eu Derart peinlich berĂŒhrt wurde es von ihm selbst offenbar als einzige
Möglichkeit angesehen, ââeisernâ zu schweigenâ (Waste 2013, 158), um sein
Ver-sprechen zu verdecken. Es war aber deshalb geradezu unausweichlich,
dass das Gegenteil von dem eintrat, was sein Schweigen intendierte. Das
macht diesen Kardinal zu einem Fall eines viel gröĂeren Problems. Er hat
die Macht der Scham freigelegt.
Die doppelte Gegenwart von Scham
Scham begleitet die Zeit des Hans Hermann Groër als Wiener Erzbischof von
Anfang an. Aber das gilt zunÀchst anders, als es sich dann in dem öffentli-
chen Skandal um seine TĂ€terschaft in Hollabrunn erwiesen hat. Die Scham,
die am Anfang seiner Wiener Zeit stand, war anders polarisiert als jene, die
an seinem Ende stand; entsprechend hatten beide unterschiedliche Effekte.
Am Ende ging es darum, das beschÀmende Bild, das die Kirche durch das
Schweigen des Kardinals ĂŒber den Vorwurf selbst erzeugte, durch positive
andere Aktionen hinter sich zu lassen wie die Ernennung eines Koadju-
tors mit Nachfolgerecht und das Kirchenvolksbegehren. Am Anfang ging es
dagegen darum, andere in der Kirche zu beschÀmen, die nicht wagten, die
katholische IdentitÀt so offensiv zu vertreten, wie Pater Groër es in Holla-
brunn und Maria Roggendorf getan hatte.
Seine Ernennung zum Wiener Erzbischof nach Kardinal König dĂŒpierte
den liberalen Katholizismus Wiens, der damit seine selbstverstÀndliche
Vorherrschaft in Ăsterreich verlor. Die Ernennung signalisierte nach auĂen,
dass es nun strenger katholisch zugehen wĂŒrde in der österreichischen
Kirche. Nach innen sollte die Ernennung diejenigen aufrĂŒtteln, die nicht so
rein katholisch aufzutreten vermochten oder wollten wie der Nachfolger
des liberalen ârotenâ Kardinal König. Sie sollten von ihrer sichtbaren Dis-
krepanz zum SeelenfĂŒhrer im Knabenseminar und ĂŒberaus marienfrom-
men Benediktinermönch peinlich berĂŒhrt werden und so sollte der wahre
katholische Glaube in Gestalt des neuen Erzbischofs von der Erzdiözese
Wien und im Weiteren von ganz Ăsterreich Besitz ergreifen. Entspre
chend
pointiert rief Pater Groër als designierter Erzbischof zum Fest MariÀ Him-
melfahrt in seiner allerersten Radiosendung Maria als FĂŒrsprecherin an:
Hans-Joachim Sander | Gebrochenes Ver(-)sprechen
Am Anfang ging es darum, andere in der Kirche zu beschÀmen,
die die katholische IdentitÀt nicht so offensiv vertraten.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 1:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 1:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 236
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven