Page - 139 - in Limina - Grazer theologische Perspektiven, Volume 1:1
Image of the Page - 139 -
Text of the Page - 139 -
139 | www.limina-graz.eu
Hans-Joachim Sander | Gebrochenes Ver(-)sprechen
Papst in diesem Akt auf das Gegenteil hinweisen wollte. Darin liegt die tra-
gische Ambivalenz dieses kirchlich so prägenden Pontifikats.
Wenn man diesen Glauben so verspricht wie in dem Identifizierungs-
vorgang, den Johannes Paul II kirchlich maßgeblich machte, dann muss
man sich fragen und fragen lassen: Wer soll woraufhin davon ermächtigt
werden? Die Kirche selbst oder die anderen, die ihr aus guten Gründen kri-
tisch gegenüber stehen? Die sowieso schon von dieser Identität Überzeug-
ten, damit sie diese Überzeugungen nicht auf peinlich vorhandene Defizi-
te überprüfen müssen? Diejenigen, die mit der Kirche und ihrem Glauben
unverschämte Utopias wie „Wir verteidigen das christliche Abendland!“
verbinden, ohne dass sie an der Kirche und ihrem Glauben besonders An-
teil nähmen, sehr wohl aber Interesse haben an der Ausschließungsmacht
der potentiellen Erhabenheit des Unverschämten gegen unliebsame andere
und Andersgläubige?
Es genügt leider nicht, keine Angst zu haben, katholisch zu sein, und
das auch zu zeigen. Vielmehr muss man fürchten, dass das Versprechen
der katholischen Identität in übergriffige Finger gerät, die sich damit an
der Ohnmacht der anderen bedienen und aus dieser prekären Form von
Macht mit schamloser Selbstgerechtigkeit eine Ressource ihrer Selbst-
ermächtigung gewinnen. Wer mit solchen Fingern an den Versprechen des
Glaubens hantiert, ver-spricht eine Zukunft, vor der im Glauben nur ge-
warnt werden kann. In dieser Zukunft werden dann nämlich nur Selbst-
ermächtigte inthronisiert statt die Ohnmächtigen zu autorisieren, diese
von ihren Thronen zu stoßen. Der christliche Glauben verspricht keine sol-
che Zukunft, sondern ihr Gegenteil.
Die österreichische Kirche hat mit der schamlosen Art katholischen Ver-
sprechens ihre eigenen Grenzerfahrungen gemacht. Sie ist immer noch da-
bei, daraus zu lernen. So wie sich die Gegenwart entwickelt, wird sie das in
der nächsten Zukunft gut gebrauchen können.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 1:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 1:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 236
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven