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156 | www.limina-graz.eu Dimensionen verstehen, die mit den Reduktionen auf bestimmte
Milieus verbunden sind, wie dies die Milieustudien herausarbeiten.
Ein weiterführender Beitrag liegt darin, die gegenseitige Dynamisie-
rung der unterschiedlichen Aspekte von Benachteiligung zu betonen.
Es leuchtet unmittelbar ein, dass behinderte Kinder aus wohlhaben-
den Familien ganz andere Kompensations- und Fördermöglich-
keiten haben als Kinder aus sozialen und kulturellen Benachteili-
gungskontexten. Wenn bestimmte offene Lernformen im inklusiven
Religions unterricht favorisiert werden, die Kinder methodendiffe-
rent an einem Gegenstand arbeiten lassen, dann haben doch Kinder
mit größeren Ressourcen an Unterstützungsmöglichkeiten bessere
Teilhabechancen. Dabei sind solche Formen des entdeckenden,
eigen verantwortlichen, selbstorganisierenden Lernens auch unter
Förderungs- und Benachteiligungsaspekten hoch relevant. Schul-
pädagogisch gesehen ist nämlich „von einer Individualisierung
des Lernens keineswegs voraussetzungslos die Herstellung glei-
cher Bildungsgelegenheiten für alle zu erwarten“ (Rabenstein/Reh
2013, 240). Schwächere Schüler brauchen eine engere metho
dische
Rahmung. Vorrangig Lernende mit entsprechend hohem kulturel-
lem und ökonomischem Kapital können vom geöffneten Unterricht
profitieren. Dagegen können Lernende aus niedrigem ökonomi-
schen Status „tendenziell im traditionellen Klassenunterricht
bessere Leistungen erzielen als im geöffneten Unterricht“ und auch
ein besseres aufmerksames und zielgerichtetes Arbeitsverhalten
entwickeln (Rabenstein/Reh 2013, 242–243). Selbstgesteuertes,
konstruktivistisch begründetes Lernen übersieht, dass hiermit jene
privilegiert werden,
„die leistungsmotiviert, innengeleitet und individualistisch agie-
ren, kurz: die über ein profiliertes Selbstkonzept verfügen. Alle
Formen des selbstgesteuerten Lernens erweisen sich mithin als
sozial selektiv, auch wenn das konstruktivistische Pathos der
Selbstorganisation darüber hinweghuscht“ (Pongratz 2009,
153).
Der Ertrag der Kategorie Aufgeklärter Heterogenität für religiöse Bildungs-
prozesse liegt somit nun genau darin, religiöse Bildungsprozesse in der
interdependenten Vielfältigkeit ihrer Dimensionen inmitten ihrer ma-
terialen und kulturellen, ihrer sozialen und politischen, ökonomischen
wie religiösen Rahmungen kritisch und konstruktiv reflektieren zu kön-
Bernhard Grümme | Religionsunterricht zwischen Macht und Bildung
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 1:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 1:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 236
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven