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190 | www.limina-graz.eu das Ergebnis textkritischer Analysen, aber auch die Linguistik der
Texte abbilden.
3. Zum Spektrum der digitalen Edition gehören Methoden, sich von
Programmen Vorschläge machen zu lassen, wie z. B. die Berech-
nung von möglichen Gruppen von Textabschriften auf Grund der
Anzahl von Unterschieden. Solche Berechnungen können so kom-
plex gestaltet sein, dass sie bekannte Überlieferungsstammbäume
reproduzieren können (z. B. Howe/Robinson 1998, weiterführend
Andrews/Macé 2015), ihnen also auch zuzutrauen ist, sinnvolle
Vorschläge für noch unbekannte Verhältnisse zu machen.
4. Die Digitale Edition erlaubt es, sie in online verfĂĽgbares Wissen ĂĽber
Hyperlinks einzubetten. Sie wird vernetzt.
5. Die Arbeitsweise des Edierens wird schlieĂźlich durch Werkzeuge
verändert, die es ermöglichen, online an der Edition zusammen-
zuarbeiten. Statt einer lokalen Materialsammlung, die von wenigen
Experten verarbeitet wird, können solche „Virtuellen Forschungs-
umgebungen“ von Wissenschaftlern – und Laien – weltweit benutzt
werden. Sie können so das Wissen vieler Experten zusammenfüh-
ren. Dabei können auch Nicht-Wissenschaftler sinnvolle Beiträge
als „Citizen Science“ leisten, wenn es um Aufgaben geht, die leicht
erlernt werden können, wie z. B. die Transkription moderner hand-
schriftlicher Texte.
Diese Methoden haben Annahmen ĂĽber die Funktion von wissenschaftli-
chen Editionen in Frage gestellt, wie z. B. die Notwendigkeit, einen einzi-
gen gültigen Text zu erstellen. Patrick Sahle hat 2013 (Sahle 2013, III:1–89)
die grundlegende Konsequenz digitaler Editionsformen als eine Verände-
rung des Textbegriffes hin zu einem „multiplen Textbegriff“ beschrieben.
Je nach Interesse und Materiallage kann der zu edierende Text sehr un-
terschiedlich aufgefasst werden: Man kann ihn in seiner autorisierten
linguistische Form als kritische Ausgabe edieren, seine textuelle Varianz
umfassend dokumentieren, oder ihn als individuelle Niederschrift in einer
Handschrift einfach nur abfotografieren. Während die Editorinnen sich vor
dem Druck einer Edition entscheiden mussten, welche Interpretation von
„Text“ sie bevorzugen, kann die digitale Edition alle Formen kodieren und
speichern. Erst mit der Umwandlung der Textdaten in eine Präsentations-
form – und die kann durchaus auch eine gedruckte Seite auf Papier sein –
Georg Vogeler | Religion aus Daten?
Digitale Editionen verändern den Textbegriff nachhaltig.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 1:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 1:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 236
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven