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191 | www.limina-graz.eu trifft man eine Entscheidung für die eine oder andere Textvorstellung. Di-
gitale Editionsmethoden müssen also nicht eine einzelne Interpretation
von Text bevorzugen. So können sie auch an etablierten Editionszielen wie
z.
B. der Erstellung eines textkritisch validierten gültigen Textes festhalten,
aber sie ändern den Weg dorthin. Insgesamt entstehen nämlich mit den
digitalen Editionen Datenstrukturen und Programme, die einen größeren
Anteil der Erfahrung, die man als Editor in der Arbeit mit der Textüberlie-
ferung macht, abbilden als es die Papieredition kann. Der Anteil ist größer
nicht nur, weil digitale Methoden mehr dieser Erfahrungen publizierbar
machen, sondern auch, weil die Datenstrukturen und Programme mehr
Möglichkeiten zur Kodierung haben, also die editorische Arbeit abstrakter
machen. Die Entwicklung in den digitalen Geisteswissenschaften verstärkt
diese Abstraktion auch dadurch, dass sie die Datenstrukturen und Pro-
gramme möglichst mit Hilfe offener technischer Standards konzipiert, also
unabhängig von Softwareherstellern und Technologiemoden zu werden
versucht. Es zählt nicht die technische Einzellösung, sondern die abstrakte
Kodierung der Texte, des editorischen Wissens und der editorischen Praxis.
Edition wird „verdatet“.
Auswirkung
Wie wirkt sich diese „Verdatung“ auf die religiösen Grundlagentexte aus?
Es gibt dazu ein paar Forschungsergebnisse. Jeffrey Siker (2017) be
schreibt
z.
B. welche Auswirkungen der Umgang mit einem digitalen Text in religiö-
ser Praxis haben kann: Das elektronische Medium verändert, wie Menschen
mit Text umgehen, und birgt so das Risiko, dass sie Kontemplation ver-
lieren. Dem stehen die praktischen Bequemlichkeiten gegenüber, die dazu
führen, dass der Text seinen Platz in einer sich entwickelnden di
gitalen
Kultur findet. Andrew Rippin (2014) schlägt als Interpretation für die brei-
ten Aktivitäten, digitale Formen des Korans zu erstellen, das Bedürfnis von
Muslimen vor, den heiligen Text stets verfügbar zu haben. Das Gefühl, ihn
mit Geräten wie dem Smartphone überall greifbar und lesbar zu haben, ist
Ausdruck seiner Relevanz.
Die wissenschaftlich geleitete Arbeit an der Textgestalt und an der Überlie-
ferung des Textes erhält damit ebenso Relevanz. Auf welcher Textform sol-
len die E-Books und Smartphone-Apps aufbauen? Wie die Arbeit an tanzil.
net gezeigt hat, ist textkritische Arbeit nötig, einen richtigen digitalen Text
zu erstellen. Dazu können auch digitale Methoden angewendet werden.
Georg Vogeler | Religion aus Daten?
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 1:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 1:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 236
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven